Der Zusammenbruch
auch ein Dutzend in Bazeilles gefundene Bayern. Die Feinde, die sich einander an die Gurgel gefahren waren, ruhten nun hier Seite an Seite in gutem Einvernehmen, zu dem sie ihre gemeinsamen Leiden führten. Und was für ein fürchterlicher, jammervoller Aufenthaltsort, diese beiden langen ehemaligen Schulsäle von Remilly, in deren jedem etwa fünfzig Betten in dem hellen, bleichen Licht ihrer hohen Fenster standen!
Noch zehn Tage nach der Schlacht wurden Verwundete herangebracht, die man in vergessenen Winkeln aufgefunden hatte. So waren vier ohne jede ärztliche Hilfe in einem leeren Hause in Balan liegen geblieben und lebten noch, ohne daß man wußte wie, ohne Zweifel wohl dank der Barmherzigkeit irgendwelcher Nachbarn; ihre Wunden wimmelten von Ungeziefer und sie starben an Blutvergiftung durch diese unsauberen Wunden. Solche Eiterungen waren es auch, gegen die kein Kampf fruchtete, die über die Reihen der Betten hinhauchten und sie leerten. An der Türe schon packte einen der Geruch nach Brand an der Kehle. Aus den Dräns sickerte tropfenweise der faulige Eiter. Häufig mußte dasgesunde Fleisch wieder aufgeschnitten werden, um einen unerkannt gebliebenen Knochensplitter zu entfernen. Dann traten Geschwüre auf, die sich weithin einen Ausfluß bahnten. Erschöpft, abgemagert erlitten die Unglücklichen mit ihren erdfarbigen Gesichtern all diese Qualen. Einzelne verbrachten ihre Tage ganz ohne einen Atemzug auf dem Rücken, die dunklen Augenlider geschlossen, so daß sie wie schon halb verweste Leichen aussahen. Andere konnten keine Ruhe finden und wurden von einer ewigen Schlaflosigkeit gepeinigt; sie waren dauernd naß von Schweiß und so erregt, als habe der Schrecken sie mit Wahnsinn geschlagen. Aber ob sie nun erregt oder ruhig waren, sobald der Schüttelfrost des Wundbrandes sie packte, war es zu Ende, das Gift siegte, es flog von einem zum andern und riß sie in dem einen großen Strom siegreicher Fäulnis davon.
Aber am schlimmsten war es im Saal der Verdammten, wo die an Dysenterie, Typhus oder Blattern Erkrankten lagen. Viele hatten die schwarzen Blattern. Sie wälzten sich und schrien in einem ewigen Fiebertraume, sie richteten sich in ihren Betten auf und standen da wie Gespenster. Andere, deren Lungen angegriffen waren, starben an Lungenentzündung und unter schrecklichem Husten. Wieder andere brüllten und kamen nur unter der Einwirkung eines kalten Wasserstrahles zur Ruhe, mit dem ihre Wunden fortwährend gekühlt wurden. Die Stunde der Erwartung, die Stunde des Verbindens war die einzige, die einige Ruhe hervorbrachte, die die Betten lüftete und die von dem langen Liegen in derselben Stellung steif gewordenen Körper etwas auffrischte. Aber es war auch eine Stunde der Furcht, denn kein Tag verging, an dem der Doktor nicht beim Nachsehen der Wunden zu seinem Kummer auf der Haut irgendeinesarmen Teufels bläuliche Flecken vorfand, die Anzeichen um sich greifenden Brandes. Am nächsten Tage wurde dann operiert. Wieder wurde ein Stück Bein oder Arm abgeschnitten. Manchmal stieg der Brand auch höher hinauf, und er mußte fortfahren, bis er schließlich das ganze Glied abgeschnitten hatte. Dann ging der ganze Mann hinterher, der Körper wurde mit leichenfarbigen Typhusflecken übersät, und der Kranke mußte taumelnd, wie trunken und halbirr in den Saal der Verdammten gebracht werden, wo er dann dahinsiechte und sein Fleisch, schon ehe der Tod eintrat, abstarb und Leichengeruch ausströmte.
Jeden Abend antwortete Henriette bei ihrer Rückkehr auf Jeans Fragen mit vor Rührung zitternder Stimme:
»Ach! Die armen Jungens, die armen Jungens!«
Die Einzelheiten, die täglichen Qualen dieser Hölle blieben sich stets gleich. Eine Schulter ausgelöst, ein Fuß abgeschnitten, eine Geschwulst entfernt; aber würde der Brand oder das Anstreckungsfieber ihn durchkommen lassen? Oder auch es war wieder einer begraben, häufiger ein Franzose, zuweilen ein Deutscher. Selten ging ein Tag zu Ende, ohne daß verstohlen eine schnell aus vier Brettern hergestellte Bahr in der Dämmerung das Lazarett verließ, begleitet von einem einzigen Pfleger oder oft auch von der jungen Frau selbst, damit ein Mensch doch nicht wie ein Hund verscharrt würde. Auf dem kleinen Friedhof von Remilly waren zwei große Gruben ausgehoben worden; und hier schliefen alle in einer Reihe, die Franzosen rechts, die Deutschen links, Seite an Seite, wieder versöhnt in der Erde.
Ohne daß er sie je gesehen hatte, nahm Jean schließlich
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