Der Zusammenbruch
gewissen Kummer zum Ausdruck brachte, indem er auf den dumpfen Haß anspielte, die furchtsame Mißachtung, die man ihm in den übrigen Häusern von Remilly bewiesen. Nicht wahr? Jeder gehört doch nun einmal seinem Vaterlande an, und man dient doch einfach seinem Lande, so gut man es versteht. Aber in Frankreich gab es doch allerlei, worüber sich die Leute sonderbare Gedanken machten. Und der Alte sah ihn an und hörte so verständig und so milde zu mit seinem breiten, fröhlichen Gesicht, als sage er sich, der Mann kann doch sicher nicht in übler Absicht zu mir gekommen sein.
»Seid Ihr denn heute ganz allein, Vater Fouchard?«
»O nein, Silvine ist da drin und gibt den Kühen Futter ... Möchtest du Silvine mal sehen?«
Goliath fing an zu lachen.
»Ja gewiß... Ich will Euch ganz offen sagen, ich komme nur Silvines halber.«
Da stand Vater Fouchard ganz beruhigt auf und rief mit voller Stimme:
»Silvine! Silvine! ... Hier ist jemand für dich.«
Dann ging er weg, denn nun hatte er keine Angst mehr, das Mädchen würde das Haus schon beschützen. Wenn das jemand so lange noch festhält, nach Jahren noch, dann ist er verratzt.
Silvine war nicht überrascht, bei ihrem Hereintreten Goliath vorzufinden, der sitzengeblieben war und sie mit einem gutmütigen, etwas verlegenen Lächeln ansah. Sie hatte ihn erwartet und blieb nun, nachdem sie über die Schwelle getreten war, einfach stehen, und ihr ganzes Wesen erstarrte. Und Karlchen, der hinter ihr hergelaufen war, hing sich an ihre Röcke und war höchst erstaunt über den Mann, den er da fand und den er gar nicht kannte.
Ein paar Sekunden lang herrschte verlegenes Schweigen.
»Das ist also der Kleine?« fragte Goliath schließlich mit seiner milden Stimme.
»Ja«, antwortete Silvine hart.
Das Schweigen begann aufs neue. Er war im siebenten Monat ihrer Schwangerschaft fortgegangen und wußte zwar, daß er ein Kind habe, aber er sah es jetzt zum erstenmal. Als verständiger Junge, der überzeugt ist, daß er gute Gründe für sich hat, wollte er sich auch mit ihr auseinandersetzen.
»Sieh mal, Silvine, ich verstehe wohl, daß du auf mich noch böse bist. Aber gerecht ist das doch nicht ... Wenn ich wegging und dir so großen Kummer machte, dann mußtest du dir doch sagen, daß das nur geschah, weil ich nicht mein eigenerHerr war. Wenn man Vorgesetzte hat, muß man ihnen gehorchen, nicht wahr? Hätten sie mich hundert Meilen weit zu Fuß weggeschickt, ich wäre gegangen. Und ich konnte doch natürlich nicht reden; es hat mir das Herz abgedrückt, so ohne gute Nacht zu sagen von dir weggehen zu müssen ... Heute, mein Gott! Ich will dir gar nicht erzählen, daß ich ganz sicher wiedergekommen wäre. Ich habe indessen stets darauf gerechnet, und da bin ich, siehst du ...«
Sie hatte den Kopf abgewendet und sah durch das Fenster nach dem Schnee im Hofe, als wäre sie fest entschlossen, nicht auf ihn zu hören. Da ihn diese Mißachtung, dies hartnäckige Schweigen besorgt machte, unterbrach er seine Erklärungen, indem er sagte:
»Weißt du, du bist noch schöner geworden!«
Sie war tatsächlich wunderschön in ihrer Blässe, mit den prachtvollen großen Augen, die ihr ganzes Gesicht leuchten ließen. Ihre schweren schwarzen Haare bedeckten ihren Kopf wie ein Helm ewiger Trauer.
»Komm, sei nett! Du mußt doch merken, daß ich dir nichts Böses tun will ... Wenn ich dich nicht lieb hätte, wäre ich doch sicher nicht wiedergekommen ... Wo ich aber doch nun mal hier bin und alles wieder in die Reihe kommt, werden wir uns doch wiedersehen, nicht wahr?«
Mit einer raschen Bewegung war sie zurückgewichen und sah ihm nun ins Gesicht:
»Niemals!«
»Wieso niemals? Bist du denn nicht meine Frau, und ist denn das nicht unser Kind?«
Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als sie langsam sagte:
»Hört, wir machen besser sofort Schluß damit ... Ihr habt Honoré gekannt, ich liebte ihn und habe niemals einen andernals ihn geliebt. Er ist tot, Ihr habt ihn mir dort unten getötet ... Nie wieder werde ich die Eure! Niemals!«
Sie hatte die Hand zum Schwur erhoben, und schwur nun mit einem derartigen Haß in der Stimme, daß er einen Augenblick ganz sprachlos blieb und dann leise fortfuhr, wobei er sie aber nicht länger duzte:
»Ja, ich wußte es, Honoré ist tot. Er war ein recht netter Kerl. Aber was wollt Ihr? Andere sind auch gefallen in diesem Kriege ... Und dann schien mir doch von dem Augenblicke an, wo er tot war, da gäbe es doch kein Hindernis mehr; denn
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