Der Zusammenbruch
schließlich, laßt Euch mal daran erinnern, Silvine, ich war doch nicht roh, Ihr habt doch selbst eingewilligt ...«
Aber er brachte den Satz nicht zu Ende, so gänzlich fassungslos sah er sie plötzlich vor sich, beide Hände vorm Gesicht, als wollte sie sich zerreißen.
»Ah ja, das ist es ja! Das ist es, was mich ganz verrückt macht! Warum habe ich denn nur eingewilligt, wo ich Euch doch nicht liebhatte? ... Ich kann mich nicht mehr drauf besinnen, ich war so traurig, so krank über Honorés Weggang, und es kam vielleicht, weil Ihr von ihm spracht und es so aussah, als hättet Ihr ihn gern ... Mein Gott! Wie viele Nächte habe ich zugebracht, um alle Tränen meines Leibes zu weinen, wenn ich daran dachte! Es ist scheußlich, wenn man etwas getan hat, was man doch nicht wollte und sich nachher nicht erklären kann, warum man es getan hat... Und er hat mir vergeben, er hat mir gesagt, daß, wenn diese Schweinehunde von Preußen ihn nicht umbrächten, dann wollte er mich trotzdem heiraten, sobald er vom Dienst frei wäre ... Und Ihr glaubt, ich könnte wieder zu Euch zurückkommen? Ah! Seht! Unter dem Messer würde ich noch nein sagen, nein, niemals!«
Diesmal verdüsterte sich Goliaths Miene. Er hatte sie alsso unterwürfig gekannt und fand sie nun so unerschütterlich, von wilder Entschlossenheit. So ein guter Kerl er auch war, er wollte sie haben, und wenn es auch mit Gewalt wäre, nun er der Herr war; und wenn er ihr seinen Willen nicht mit Gewalt aufzwang, so geschah das aus angeborener Klugheit, aus gefühlsmäßiger, geduldiger Schlauheit. Der Riese mit den dicken Fäusten liebte keine Aufregungen. Er dachte auch schon an ein anderes Mittel, um sie zur Unterwerfung zu bringen.
»Schön! Wenn Ihr nichts mehr von mir wissen wollt, dann nehme ich den Kleinen mit.«
»Wieso, den Kleinen?«
Karlchen, an den sie nicht gedacht hatte, war an seiner Mutter Röcken hängen geblieben und mußte an sich halten, um nicht bei ihrem Streit in Schluchzen auszubrechen. Und Goliath, der nun von seinem Stuhle aufstand, trat näher.
»Nicht wahr? Du bist doch mein Kleiner, ein kleiner Preuße ... Komm, ich will dich mitnehmen!«
Aber Silvine hatte ihn schon zitternd in ihre Arme gerissen und drückte ihn gegen ihre Brust.
»Er ein Preuße? Nein! Ein Franzose ist er, in Frankreich geboren!«
»Ein Franzose? Seht ihn doch mal an, und dann seht mich an! Er ist doch mein Ebenbild! Sieht er Euch denn etwa ähnlich?«
Nun erst sah sie auf den großen blonden Burschen mit seinem krausen Bart und Haar, dem dicken, rosigen Gesicht, in dem die dicken blauen Augen wie aus Porzellan blinkerten. Und es war ja wahr, der Kleine hatte denselben gelben Schopf, dieselben Backen, dieselben hellen Augen, die ganze Rasse von drüben in sich. Sie fühlte, wie sie selbst anders beschaffenwar mit ihren schwarzen Ringelhaaren, die ihr aus dem Haarknoten ungeordnet über die Schulter herabglitten.
»Ich habe ihn gemacht und mir gehört er!« fing sie voller Wut wieder an. »Ein Franzose, der niemals ein Wort vom Eurem dreckigen Deutsch verstehen wird, ja! Ein Franzose, der eines Tages losziehen und Euch alle totschlagen wird, um die zu rächen, die ihr getötet habt!«
Karlchen fing an zu weinen und zu schreien und krampfte sich um ihren Hals.
»Mama, Mama, ich bin bange, bring' mich weg!«
Da trat Goliath, der offenbar keinen Lärm erregen wollte, wieder zurück und sagte nur noch mit harter Stimme, während er sie aufs neue duzte:
»Paß genau auf das, was ich dir jetzt sage, Silvine ... Ich weiß alles, was hier vorgeht. Ihr nehmt die Franktireurs aus dem Walde von Dieulet auf, den Sambuc da, der ein Bruder eures Knechts ist, einen Strolch, den ihr mit Brot versorgt. Und ich weiß, daß der Knecht, der Prosper, ein Chasseur d'Afrique ist, ein Fahnenflüchtiger, der uns gehört; und ich weiß auch, daß ihr einen Verwundeten verbergt, einen andern Soldaten, den ein Wort von mir auf die Festung nach Deutschland bringt. Nicht wahr? Siehst du, ich bin gut unterrichtet ...«
Sie hörte ihn jetzt stumm, erschreckt an, während Karlchen an ihrem Halse mit seiner kleinen Stimme immer wieder stammelte:
»O Mama, Mama! Bring' mich weg, ich bin so bange!«
»Na schön!« begann Goliath wieder, »ich bin wahrhaftig kein Bösewicht und habe auch nicht gern Stänkereien, das mußt du selbst sagen; aber ich schwöre dir, ich lasse sie alle verhaften, Vater Fouchard und die andern, wenn du nicht nächstenMontag in deiner Kammer auf mich wartest
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