Der Zusammenbruch
Der ist widerlich, der ekelt mich! ... Wofür halten die Leute mich denn? Wie können sie mich einer solchen Niedertracht für fähig halten? Nein, nein, niemals! Lieber sterbe ich!«
In ihrer Aufwallung war Gilberte ganz ernst geworden und zeigte eine schmerzhafte und gereizte Schönheit, so daß sie ganz verwandelt erschien. Völlig unvermittelt jedoch kam ihre gefallsüchtige Fröhlichkeit, ihr unbesonnener Leichtsinn mit ihrem unüberwindlichen Lachen wieder.
»Ach doch, das ist wahr, ich treibe meinen Spaß mit ihm. Er betet mich an; ich brauche ihn nur anzusehen und er gehorcht ... Wenn du wüßtest, wie komisch das ist, sich über so einen dicken Menschen lustig zu machen, und wenn er dann immer so aussieht, als glaubte er, ich würde ihn endlich doch belohnen!«
»Das ist aber ein gefährliches Spiel«, sagte Henriette ganz ernsthaft.
»Meinst du? Was wage ich denn dabei? Wenn er erst mal sieht, daß er auf nichts rechnen darf, dann kann er sich doch höchstens ärgern und abziehen. Und dann – nein! Nie wird der das merken! Du kennst den Mann nicht; er gehört zu denen, mit denen die Frauen so weit gehen können, wie sie wollen, ohne jede Gefahr. Dafür, siehst du, habe ich ein Gefühl, das mir immer Bescheid sagt. Er ist viel zu eitel, er wird nie zugeben, daß ich mich über ihn lustig gemacht hätte ... Alles, was ich ihm gestatte, ist, daß er später ein Andenken von mir mitnehmen darf, und den Trost, daß er sich selbst sagen kann, er habe völlig richtig, wie jeder liebenswürdige Mensch gehandelt, der lange in Paris gelebt hat.«
Sie wurde wieder lustig und setzte hinzu:
»Unterdessen läßt er den Ohm Fouchard in Freiheit setzen und bekommt für seine Mühe nichts als eine Tasse Tee, von meiner Hand gezuckert.«
Aber mit einem Male kam ihre Furcht wieder und der Schrecken, überrascht worden zu sein. Tränen traten wieder unter dem Rand ihrer Augenlider hervor.
»Mein Gott! Und Frau Delaherche? ... Was soll daraus werden? Sie mag mich sowieso nicht recht, und sie ist fähig, meinem Manne alles zu sagen.«
Henriette hatte sich schließlich wieder erholt. Sie trocknete ihrer Freundin die Augen und zwang sie, ihre unordentliche Kleidung etwas wieder in Ordnung zu bringen.
»Höre, Liebste, ich habe nicht die Kraft, dich zu schelten, und doch weißt du, wie ich dich tadle! Aber sie hatten mich so bange gemacht mit deinem Preußen, ich fürchtete so häßliche Sachen zu hören, daß die andere Geschichte dagegen wahrhaftig ein reiner Trost ist ... Sei nur ruhig, es läßt sich wohl noch alles ins reine bringen.«
Das war sehr verständig, um so mehr, als Delaherche fast gleich darauf mit seiner Mutter ins Zimmer trat. Er erklärte ihnen, er habe einen Wagen holen lassen, der ihn nach Belgien bringen sollte, da er sich entschlossen habe, noch am selben Abend den Zug nach Brüssel zu erreichen. Er wollte daher seiner Frau Lebewohl sagen. Dann wendete er sich zu Henriette:
»Seien Sie ruhig; Herr von Gartlauben hat mir versprochen, als er wegging, er wolle sich die Sache mit Ihrem Ohm ansehen; und wenn ich auch nicht mehr da bin, meine Frau wird das übrige dann schon besorgen.«
Seit Frau Delaherche hereingetreten war, hatte Gilberte, das Herz vor Angst zusammengeschnürt, sie nicht aus denAugen gelassen. Würde sie nun sprechen und alles sagen, was sie gesehen hätte, und ihren Sohn abhalten, fortzugehen? Schweigend hielt die alte Dame ebenso schon von der Tür an ihre Blicke auf ihre Schwiegertochter gerichtet. In ihrer Strenge empfand auch sie zweifellos das als Trost, was Henriette so nachsichtig gemacht hatte. Mein Gott! Da es sich um den jungen Menschen handelte, einen Franzosen, der sich so tapfer geschlagen hatte, mußte sie ihr da nicht wohl verzeihen, wie sie ihr schon Hauptmann Beaudouins wegen verziehen hatte? Ihre Augen wurden milder, sie wandte den Kopf weg. Ihr Sohn konnte fortgehen, Edmond würde sie schon gegen den Preußen verteidigen. Sie ließ sogar ein schwaches Lächeln sehen, sie, die sie sich seit der guten Nachricht von Coulmiers über nichts mehr gefreut hatte.
»Auf Wiedersehen!« sagte sie und küßte Delaherche. »Bring' deine Geschäfte in Ordnung und komm' bald wieder zu uns!«
Und dann ging sie fort und trat von der andern Seite des Treppenabsatzes in die vermauerte Kammer, wo der Oberst in den Schatten jenseits des von der Lampe schwach erhellten Rundes stierte.
Henriette kehrte noch am selben Abend nach Remilly zurück; und drei Tage später hatte sie
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