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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nicht was für einem Vorwand! Ist denn das gerecht? Ist das vernünftig?«
    Herr von Gartlauben nickte mit dem Kopfe und begnügte sich zu antworten:
    »Was wollen Sie? Das ist der Krieg, das ist der Krieg!«
    Henriettes Warten zog sich hin, die Ohren summten ihr, alle möglichen unbestimmten und traurigen Gedanken schläferten sie halb ein in ihrer Fensternische, während Delaherche sein Ehrenwort darauf gab, Sedan hätte bei dem vollständigen Mangel an Bargeld einer derart gefährlichen Lage nicht mehr entgegensehen können ohne die glückliche Schöpfung eines örtlichen Vertrauensgeldes, Papiergeldes der industriellen Kreditkasse, das die Stadt vor dem geldlichen Zusammenbruch bewahrt habe.
    »Herr Hauptmann, Sie nehmen doch wohl noch ein Glas Kognak?«
    Und er sprang zu einem andern Gegenstand über.
    »Frankreich hat doch diesen Krieg gar nicht angefangen, das war das Kaiserreich ... Ach, der Kaiser hat mich recht enttäuscht! Mit dem ist's gänzlich vorbei, eher ließen wir uns zerstückeln ... Sehen Sie mal! Ein einziger Mann hat dasim Juli klar vor Augen gesehen, jawohl! Herr Thiers, und seine gegenwärtige Reise durch die europäischen Hauptstädte ist auch wieder eine Handlung von großer Klugheit und Vaterlandsliebe. Die Wünsche aller verständigen Leute begleiten ihn; möchte es ihm doch gelingen!«
    Er führte seinen Gedanken durch eine Handbewegung zu Ende, denn vor einem Preußen, selbst einem noch so verständnisvollen, hätte er es für unschicklich gehalten, von Frieden zu sprechen. Aber der Wunsch glühte in ihm wie in der ganzen alten konservativen Bürgerschaft des Plebiszits. Sie würden am Ende ihres Geldbeutels und ihres Blutes stehen und Frieden schließen müssen; daher stieg in all den besetzten Provinzen ein dumpfer Groll gegen Paris hoch, das sich auf Widerstand erpichte. Und er schloß dann auch mit leiserer Stimme, während er auf die Bekanntmachungen Gambettas anspielte:
    »Nein, nein, mit dem verrückten Wüterich können wir nicht gehen! Das führt ja zu einem wahren Gemetzel ... Ich gehe mit Herrn Thiers, der Wahlen ausschreiben will; und dann ihre Republik! Mein Gott, an der stoße ich mich ja nicht gerade, wir werden sie wohl behalten müssen, bis etwas Besseres kommt.«
    Herr von Gartlauben fuhr fort, durchaus zustimmend mit dem Kopfe zu nicken, während er wiederholte:
    »Zweifellos, zweifellos ...«
    Henriettes Unbehagen wuchs, und sie konnte nicht länger bleiben. Ohne bestimmte Ursache fühlte sie sich gereizt, gezwungen, nicht länger hier sitzenzubleiben; und so stand sie leise auf, um nach Gilberte zu sehen, die sie so lange warten ließ.
    Aber als sie in deren Schlafzimmer trat, blieb sie wie betäubtstehen, als sie ihre Freundin, in Tränen auf ihr Ruhebett hingestreckt fand, von einer außerordentlichen Erregung niedergeschmettert.
    »Nanu? Was gibt's denn? Was ist denn vorgegangen?«
    Die Tränen der jungen Frau strömten verdoppelt; sie wollte nicht antworten und verfiel jetzt in eine derartige Verwirrung, daß ihr alles Blut aus dem Herzen ins Gesicht stieg. Schließlich stotterte sie, indem sie beide Arme weit vorstreckte, um sich darin zu verbergen:
    »Ach, Liebste, wenn du wüßtest ... Ich kann's dir nie sagen ... Und doch habe ich ja nur dich, nur du kannst mir vielleicht einen guten Rat geben ...«
    Sie schauderte zusammen und stotterte noch mehr.
    »Ich war mit Edmond ... Und gerade in dem Augenblick hat Frau Delaherche mich überrascht ...«
    »Wieso, dich überrascht?«
    »Ja, wir waren hier, und er hielt mich und küßte mich ...«
    Und indem sie Henriette küßte und in ihre zitternden Arme schloß, beichtete sie ihr alles.
    »Ach, Liebling, beurteile mich nicht zu hart! Du tust mir zu weh! ... Ich weiß wohl, ich hatte dir geschworen, ich wollte es nicht wieder anfangen. Aber du hast Edmond ja gesehen, er ist so tapfer und er ist so hübsch! Und dann denk' mal an, der arme junge Mensch, verwundet, krank und so weit von seiner Mutter! Und dabei ist er nicht etwa reich; sie haben bei ihm zu Hause alles verputzt, damit er nur lernen könnte! ... Wirklich ich konnte es ihm nicht abschlagen!«
    Henriette hörte sie ganz verwirrt an und konnte sich noch nicht von ihrer Überraschung erholen.
    »Was, mit dem kleinen Sergeanten also! ... Aber, Liebste alle Welt glaubt doch du wärst die Geliebte des Preußen!«
    Mit einemmal stand Gilberte auf, und während sie sich die Augen trocknete, erhob sie Einspruch.
    »Die Geliebte des Preußen! ... Ah nein, weißt du!

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