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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Franktireurs aus dem Walde von Dieulet verschwunden waren, nachdem man sie wie wilde Tiere gehetzt hatte, da fühlte er nur noch den einen Wunsch, sich des nahenden Friedens zu erfreuen, sobald er abgeschlossen wäre. In einer Anwandlung von Großmut hatte er Prosper sogar Lohn zugebilligt, natürlich nur, um den Burschen auf dem Hofe festzuhalten, den dieser übrigens gar nicht zu verlassen wünschte. Er stieß mit Prosper an und wollte auch mit Silvine anstoßen, die er sogar einen Augenblick zu seiner Frau zu machen gedachte, wenn er sie so verständig, so ganz bei ihrer Tätigkeit sah; aber wozu? Er fühlte ja doch, sie würde sich nicht stören lassen, sie würde auch noch dableiben, wenn Karlchen erwachsen wäre und als Soldat losziehen würde. Und nachdem er mit dem Doktor, mit Henriette und mit Jean angestoßen hatte, rief er:
    »Auf unser aller Gesundheit! Mögt ihr alle Glück haben, und möge es keinem schlechter gehen als mir!«
    Henriette wollte Jean unbedingt bis Sedan begleiten. Er war in bürgerlicher Kleidung, im Überzieher und runden Hut, die ihm der Doktor geliehen hatte. Bei der großen, fürchterlichen Kälte leuchtete heute die Sonne auf demSchnee. Sie brauchten nur quer durch die Stadt; als Jean aber hörte, sein Oberst sei immer noch bei den Delaherches, da faßte ihn eine große Lust, den noch zu begrüßen; und zugleich wollte er dem Fabrikanten für seine Güte danken. Das war sein letzter Kummer in dieser Stadt des Unheils und Schmerzes. Als sie die Fabrik in der Rue Macqua erreichten, hatte dort gerade ein schmerzliches Ende das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Gilberte war ganz verwirrt. Frau Delaherche weinte große, stumme Tränen, während ihr Sohn, der aus den Werkstätten heraufgekommen war, seiner Überraschung laut Ausdruck verlieh. Sie hatten den Oberst auf dem Fußboden seiner Kammer wie eine leblose, niedergestürzte Masse tot aufgefunden. Nur die ewige Lampe brannte noch in dem geschlossenen Zimmer. Der eiligst herbeigerufene Arzt konnte es gar nicht begreifen, da er keine wahrscheinlich vorliegende Ursache, weder Herzerweiterung noch zu starken Blutandrang, fand. Der Oberst war tot, wie von einem Blitz erschlagen, über dessen Herkunft niemand etwas angeben konnte; am nächsten Tage erst fanden sie ein Stück einer alten Zeitung, die als Buchumschlag gedient hatte und auf dem sich eine Schilderung der Übergabe von Metz befand.
    »Liebste,« sagte Gilberte zu Henriette, »als Herr von Gartlauben eben die Treppe hinunterging, nahm er vor dem Zimmer, in dem des Ohms Leiche liegt, seinen Helm ab ... Edmond hat es gesehen; er ist doch wirklich ein sehr netter Mensch, nicht wahr?«
    Noch nie hatte Jean Henriette geküßt. Ehe er mit dem Doktor in den Wagen stieg, wollte er ihr für all ihre Fürsorge danken, dafür, daß sie ihn gepflegt und geliebt hatte wie einen Bruder. Aber er fand keine Worte, er öffnete die Arme und küßte sie schluchzend. Heftig erwiderte sie seinenKuß. Als das Pferd anzog, wendete er sich zurück; ihre Hände zitterten, als sie stammelnd sich immer wieder zuriefen:
    »Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!«
    Als Henriette abends nach Remilly zurückkam, hatte sie Nachtdienst. Während ihrer langen Wache wurde sie wieder von einem heftigen Tränenstrom überwältigt, und sie weinte, weinte unendlich und erstickte ihren Schmerz zwischen den gefalteten Händen.
     

7.
    Am Tage nach Sedan begannen die deutschen Heere, ihre Menschenfluten weiter gegen Paris vor zu wälzen; die Maasabteilung kam vom Norden durchs Marnetal, während sich die Gruppe des Kronprinzen von Preußen, nachdem sie die Seine bei Villeneuve-Saint-George überschritten hatte, auf Versailles zu wandte, indem sie südlich an der Stadt entlangzog. Und als General Ducrot an dem lauen Septembermorgen, an dem ihm das kaum gebildete vierzehnte Korps anvertraut war, sich zu einem Angriff auf diese letztere während ihres Flankenmarsches entschloß, da erhielt Maurice, der mit seinem neuen Regiment, dem hundertundfünfzehnten, in den Wäldern links von Meudon lagerte, den Befehl zum Vorgehen erst, als das Unglück schon entschieden war. Ein paar Granaten hatten genügt, um in einem aus Rekruten gebildeten Zuavenregiment eine derartige Panik hervorzubringen, daß der Rest der Truppen in Auflösung mitgerissen wurde und der Strom der Fliehenden erst hinter den Wällen in Paris wieder zum Stehen kam, wo die Aufregung gewaltig war. Alle Stellungen außerhalb der Südfortswaren verloren; und noch am

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