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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Himmel in Brand zu stecken schien, nahm immer mehr zu. Der Zug der kleinen blutigen Wolken hatte sich im Osten verloren; über ihnen lag es nur noch wie ein Meer von Tinte, in dem sich die fernen Flammen spiegelten. Jetzt stand die ganze Ausdehnung des Horizontes in Brand; aber an einzelnen Stellen konnten sie stärkere Brandherde unterscheiden, Garben von lebhafterem Purpur, aus denen fortwährend Strahlen in die Finsternis unter weithin fliegenden mächtigen Rauchwolken emporschossen. Und man hätte fast sagen mögen, die Brandherde wanderten, ein Riesenwald beginne dort hinten, Baum für Baum, zu brennen, die ganze Erde entzünde sich und ginge, an dem gewaltigen Scheiterhaufen Paris entzündet, in Flammen auf.
    »Sehen Sie da!« erklärte Otto, »das ist Montmartre, der Buckel da, den man sich dort so schwarz von dem roten Hintergrunde abheben sieht. Links bei la Villette und Belleville brennt es noch nicht. Das Feuer ist jedenfalls in den besseren Vierteln zuerst angelegt worden und gewinnt nun, gewinnt ... Sehen Sie mal da! Da rechts kommt gerade eineneue Feuersbrunst heraus! Man sieht schon die Flammen, einen wahren Flammenwirbel, aus dem glühender Dampf aufsteigt ... Und immer mehr, immer mehr! Überall!«
    Er schrie nicht und regte sich nicht etwa auf, aber die Gewalt seiner stillen Freude versetzte Henriette in Schrecken. Ach! Daß die Preußen das sehen mußten! Sie fühlte die Beleidigung aus seiner Ruhe heraus, aus seinem stillen Lächeln, als hätte er dies beispiellose Unheil seit langem vorhergesehen und erwartet. Endlich brannte Paris, Paris, dem die deutschen Granaten nur ein paar Ecken aus seinen Regenrinnen hatten herausschlagen können. All sein Groll fand nun seine Befriedigung; er schien jetzt seine Rache für die lange Dauer der Belagerung zu nehmen, für die entsetzliche Kälte, die immer zunehmenden Schwierigkeiten, über die Deutschland sich noch gereizt fühlte. Bei allem Stolz seiner Siegerfreude über die eroberten Provinzen, die Entschädigung von fünf Milliarden kam doch nichts diesem Schauspiel der Zerstörung von Paris gleich, das, von wütender Narrheit geschlagen, sich selbst in Brand steckte und in dieser hellen Frühlingsnacht in Rauch aufgehen ließ.
    »Ach! Das war ja notwendig!« setzte er mit leiserer Summe hinzu. »Ein Riesenunternehmen!«
    Wachsender Schmerz schnürte Henriette das Herz zusammen angesichts des gewaltigen Umfangs dieses Unglücks. Ihr eigenes Elend schien ein paar Minuten lang ganz zu verschwinden, von diesem Sühnopfer eines ganzen Volkes mit fortgerissen. Der Gedanke, daß dies Feuer auch Menschenleben verzehre, der Anblick der in Flammen stehenden Stadt am Horizont, die die Höllenglut verfluchter, vom Blitz zerschmetterter Hauptstädte ausstrahlte, entrissen ihr unwillkürlich einen Schrei. Sie faltete die Hände und fragte:
    »Was haben wir denn getan, mein Gott, daß wir so gestraft werden?«
    Otto öffnete schon die Arme, wie um zu reden. Er wollte mit aller Eindringlichkeit seines kalten, harten Militärprotestantismus zu ihr sprechen, der Bibelverse als Bekräftigung anführt. Aber sein Blick traf gerade auf die hellen, verständigen Augen der jungen Frau und ließ ihn einhalten. Seine Bewegung hatte übrigens auch schon genug gesagt; es lag in ihr der ganze Rassenhaß, die Überzeugung, er sei Richter über Frankreich, vom Gott der Heerscharen gesandt, um ein verdorbenes Volk zu züchtigen. Paris brannte zur Strafe für seinen jahrhundertelangen schlechten Lebenswandel, für seine lange aufgehäuften Verbrechen und Ausschweifungen. Abermals sollten die Germanen die Welt retten und den letzten Staub lateinischer Verderbnis auskehren.
    Er ließ den Arm wieder sinken und sagte einfach:
    »Das ist das Ende von allem ... Ein weiteres Viertel fängt an zu brennen, der neue Brandherd da unten weiter links ... Sehen Sie, wie dieser mächtige Strahl sich wie ein feuriger Strom ausbreitet.«
    Beide schwiegen nun; ein furchtsames Schweigen herrschte. Tatsächlich stiegen immer neue Flammenbündel plötzlich in die Höhe und schossen mit dem Gebrause eines Riesenofens in den Himmel empor. Jede Minute schien das Feuermeer an Ausdehnung zu gewinnen; eine weißglühende Woge stieß jetzt Rauchwolken aus, die sich über der Stadt zu einer riesigen kupferroten Wolke zusammenballten; ein leichter Wind trieb sie vorwärts, sie trieb langsam durch die finstere Nacht und verdeckte das Himmelsgewölbe mit einem scheußlichen Regen aus Asche und Ruß.
    Henriette begann

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