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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sein! Zweimal hast du mich aus den Pfoten der Preußen gerettet. Wir waren quitt; jetzt wäre ich daran gewesen, mein Leben hinzugeben, und dann bringe ich dich um! ... Ach Gottsdonnerwetter! Ich war wohl besoffen, daß ich dich nicht erkannt habe! Jawohl, besoffen wie ein Schwein von dem vielen Blut, das ich schon gesoffen habe!«
    Tränen strömten ihm aus den Augen, als er wieder an ihre Trennung dort unten in Remilly denken mußte, wo sie sich beim Abschied gefragt hatten, ob sie sich wohl eines Tages wiedersehen würden und wie, unter was für schmerzlichen oder freudigen Umständen. Also war das alles für nichts gewesen, daß sie manchen Tag zusammen ohne Brot, so mancheNacht ohne Schlaf, immer des Todes gewärtig, durchlebt hatten? Also hatte es nur zu diesem abscheulichen, diesem ungeheuerlichen, sinnlosen Brudermord geführt, daß ihre Herzen sich während der paar Wochen gemeinschaftlichen Heldendaseins zu einem verschmolzen hatten? Nein, nein! Dagegen bäumte sich alles in ihm auf.
    »Laß mich machen, mein Junge, ich muß dich retten.«
    Zunächst mußte er ihn hier wegbringen, denn die Truppen brachten alle Verwundeten um. Das Glück wollte, daß sie sich allein befanden, aber es war auch keine Minute zu verlieren. Mit Hilfe seines Messers schlitzte er rasch den Ärmel auf und zog ihm dann die ganze Uniform aus. Das Blut lief herab, er verband den Arm schleunigst mit aus dem Futter herausgerissenen Fetzen. Dann verstopfte er die Wunde im Körper und band den Arm darüber fest. Glücklicherweise hatte er ein Stück Bindfaden, mit dem er diesen barbarischen Verband gewaltsam zusammenziehen konnte, was den Vorteil hatte, daß es die ganze getroffene Seite unbeweglich machte und einen Bluterguß verhinderte.
    »Kannst du gehen?«
    »Ja, ich glaube wohl.«
    Aber er wagte nicht, ihn so in Hemdärmeln wegzubringen. Eine plötzliche Eingebung ließ ihn in eine Nebenstraße rennen, wo er einen toten Soldaten hatte liegen sehen, und er kam mit dessen Käppi und Rock wieder. Den Rock warf er ihm über die Schulter und half ihm den gesunden Arm durch den linken Ärmel stecken. Dann setzte er ihm das Käppi auf.
    »So, jetzt gehörst du zu uns... Wo müssen wir hin?«
    Ihre Verlegenheit war groß. Auf seinen Traum von Mut und Hoffnung folgte sofort wieder die Sorge. Wo könnten sie mit Bestimmtheit Obdach finden? Die Häuser wurdendurchsucht, und alle mit den Waffen in der Hand ergriffenen Kommunarden wurden erschossen. übrigens kannte weder der eine noch der andere irgend jemand in diesem Viertel, keine Seele, die sie hätten um Schutz anflehen können, kein Versteck, in dem sie hätten verschwinden können.
    »Am besten wäre es noch bei mir,« sagte Maurice. »Das Haus liegt sehr abseits, kein Mensch kommt dahin ... Aber es liegt auf der andern Seite des Flusses, in der Rue des Orties.«
    Jean kaute verzweifelt, unentschlossen auf dumpfen Flüchen.
    »Herrgott nochmal! Was machen wir da?«
    Sie brauchten gar nicht erst daran zu denken, über den Pont Royal zu entkommen, den die Brände mit vollem Tageslicht beleuchteten. Jeden Augenblick pfiffen von beiden Seiten Schüsse über ihn hinweg. Sie wären übrigens auch gegen die in Flammen stehenden Tuilerien gerannt, gegen die unübersteigbare Schranke des Louvre, der verbarrikadiert und bewacht war.
    »Ja, dann sind wir futsch, keine Möglichkeit, durchzukommen!« erklärte Jean, der nach seiner Rückkehr aus dem italienischen Feldzuge sechs Monate in Paris gelebt hatte.
    Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Wenn es da unten am Pont Royal noch Boote gäbe wie früher, dann könnten sie es damit versuchen. Lange, gefährlich und unbequem würde es ja werden; aber sie hatten keine Wahl und mußten sich rasch entscheiden.
    »Hör' mal, mein Junge, hier müssen wir erst mal weg, hier ist's nicht sauber... Ich werde meinem Leutnant sagen, die Kommunarden hätten mich gefaßt und ich wäre ihnen wieder ausgerissen.«
    Er hatte ihn bei dem gesunden Arme gefaßt und stützte ihn, als er ihm über den Ausgang der Rue du Bac hinweghalf, wo jetzt die Häuser von oben bis unten wie übermäßig große Fackeln brannten. Ein Regen glühender Brände fiel auf sie herab; die Hitze war so durchdringend, daß ihre Gesichtshaut ganz geröstet wurde. Als sie dann auf den Kai hinaustraten, blieben sie einen Augenblick stehen, wie geblendet von der schrecklichen Helligkeit der Feuersbrunst, die auf beiden Ufern der Seine in Riesengarben emporloderte.
    »An Kerzen fehlt es hier ja gerade

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