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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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reinigte! Aber da setzte ihn plötzlich eine Geistererscheinung in Erstaunen: fünf oder sechs Männer stürzten Hals über Kopf aus dem Palast hervor, an ihrer Spitze ein großer Bursche, in dem er Chouteau erkannte, seinen alten Regimentsbruder von den 106ern. Er hatte ihn schon einmal nach dem 18. März mit einem goldstrotzenden Käppi gesehen und fand ihn im Range befördert, ganz mit Tressen bedeckt, dem Stabe irgendeines nicht fechtenden Generals zugeteilt. Eine Geschichte, die er von ihm hatte erzählen hören, kam ihm wieder in den Sinn: der Chouteau da hatte sich im Palast der Ehrenlegion untergebracht und lebte dort in Gesellschaft seiner Geliebten in fortdauerndem Wohlleben; er flegelte sich mit den Stiefeln in den großen Prunkbetten herum und zertrümmerte die Spiegel mit Revolverschüssen, um was zu lachen zu haben. Es wurde sogar versichert, seine Geliebte führe unter dem Vorwand, ihre Einkäufe in den Hallen machen zu wollen, jeden Morgen in einem der Prunkwagenaus und nähme große Ballen gestohlenes Leinen, Uhren und sogar Möbel mit. Und als Maurice ihn jetzt so mit seinen Leuten, die Petroleumkanne in der Hand, herumlaufen sah, empfand er ein heftiges Unbehagen, einen schrecklichen Zweifel, in dem er seinen ganzen Glauben schwanken fühlte. Konnte das Schreckenswerk doch wohl schlecht sein, da ein solcher Mensch es ausführen durfte?
    Stunden liefen so noch dahin und er focht nur noch mit Kummer im Herzen, denn in ihm hielt sich nur noch der düstere Wunsch, zu sterben, aufrecht. Wenn er sich getäuscht hatte, wollte er seinen Fehler wenigstens mit seinem Blute bezahlen. Die Barrikade, die die Rue de Lille in Höhe der Rue du Bac abschloß, war sehr stark; sie bestand aus Säcken und Fässern mit Erde, und ein tiefer Graben lief vor ihr her. Er verteidigte sie mühsam mit etwa einem Dutzend anderer Föderierter, alle halb liegend und mit sicherem Schuß jeden Soldaten niederstreckend, der sich zeigte. Bis zum Einbruch der Nacht wich er nicht und verschoß schweigend in hartnäckiger Verzweiflung seine Patronen. Er sah die mächtigen Rauchwolken aus dem Palast der Ehrenlegion anwachsen; der Wind drückte sie halb in die Straße hinunter, ohne daß er bei dem abnehmenden Tageslicht schon Flammen sehen konnte. Eine andere Feuersbrunst war in einem benachbarten Hotel ausgebrochen. Und plötzlich kam ein Genosse und erzählte ihm, die Soldaten wagten nicht, die Barrikade von vorn zu nehmen, und bahnten sich einen Weg durch die Gärten und Häuser, sie schlügen die Mauern mit der Hacke ein. Das war das Ende, sie konnten von einem Augenblick zum andern dort hervorbrechen. Und tatsächlich kam ein Schuß von oben aus einem Fenster, und er sah Chouteau mit seinen Gehilfen wieder wie verrückt rechts und links inden Eckhäusern mit ihrem Petroleum und ihren Fackeln nach oben rennen. Nach einer halben Stunde stammten unter dem dunklen Nachthimmel sämtliche Häuser an der Straßenkreuzung empor; er aber lag immer noch hinter den Fässern und Säcken und machte sich die bedeutende Helligkeit zunutze, unvorsichtige Soldaten umzulegen, die sich in die Straßenflucht über die Haustüren hinaus vorwagten.
    Wie lange konnte Maurice noch schießen? Er hatte jedes Bewußtsein von Zeit und Ort verloren. Es mochte neun Uhr sein, vielleicht zehn Uhr. Das greuliche Geschäft, das er besorgte, erstickte ihn jetzt bis zum Übelwerden, so wie einem ein schlechter Wein in der Trunkenheit wieder hochkommt. Die um ihn herum in Flammen stehenden Häuser begannen ihn mit unerträglicher Hitze zu umfangen, die Luft war heiß zum Ersticken. Die Straßenkreuzung war mit dem Haufen von Pflastersteinen, der sie abschloß, zu einem befestigten Lager geworden, das unter einem Regen von Feuerbränden durch die Feuersbrünste verteidigt wurde. Lauteten die Befehle nicht so? Die Viertel anzuzünden, wenn sie die Barrikaden im Stich lassen müßten, und die Truppen durch eine Reihe verzehrender Gluthaufen aufzuhalten, Paris zu verbrennen, soweit sie es dem Feinde überlassen müßten? Er fühlte auch schon, daß nicht allein die Häuser der Rue du Bac brannten. Hinter sich sah er den Himmel in einer mächtigen roten Glut, er hörte ein entferntes Brausen, als stände die ganze Stadt in Brand. Rechts an der Seine entlang mußten weitere Riesenbrände ausgebrochen sein. Schon vor langer Zeit hatte er Chouteau auf der Flucht vor den Kugeln verschwinden sehen. Selbst die Verbissensten unter seinen Genossen rissen einer nach dem andern aus

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