Der Zusammenbruch
Riesenbrände hätte man wirklich glauben können, die Seine wälzeglühende Kohlen dahin. Plötzliche rote Blitze schossen hindurch und gelbe Brände knisterten laut überall. Und so trieben sie immer langsam weiter mit der Strömung dieses brennenden Wassers, zwischen den flammenden Palästen hin wie in einer verfluchten Stadt, die zu beiden Seiten einer jedes Maß übersteigenden Straße aus flüssiger Lava brannte.
»Ach!« sagte nun Maurice seinerseits, als ihn angesichts dieser von ihm selbst gewollten Zerstörung die Raserei wieder ergriff, »möchte doch alles in Flammen aufgehen und alles in die Luft springen!«
Aber mit einer erschreckten Handbewegung brachte Jean ihn zum Schweigen, als hätte er Angst, eine solche Lästerung könne ihnen Unglück bringen. War es möglich, daß der Junge, den er so sehr liebte, der so gebildet, so zart war, bis zu solchen Gedanken hatte herunterkommen können? Er ruderte nun stärker, denn sie waren durch die Solferinobrücke hindurch, und vor ihnen befand sich jetzt eine lange freie Strecke. Die Helligkeit wurde so groß, daß der Fluß wie von der senkrecht herabfallenden Mittagssonne erhellt dalag, ohne jeden Schatten. Die geringsten Einzelheiten konnten sie mit ungewöhnlicher Deutlichkeit erkennen, das schillernde Netz auf der Wasseroberfläche, die Steinhaufen an den Ufern, die kleinen Bäume auf den Kais. Besonders die Brücken erschienen in strahlender Weiße, so klar, daß man ihre Steine hätte zählen können; man hätte glauben mögen, sie bildeten seine, noch wohlerhaltene Laufstege von einer Feuersbrunst zur andern über dies glühende Wasser hinweg. Zuweilen ließ sich inmitten des fortgesetzt grollenden Tosens ein plötzliches Krachen hören. Rußschwaden fielen auf sie nieder, der Wind trug ihnen giftige Gerüche zu. Und die große Furcht kam über sie, Paris, die weiter entfernten Viertel dort hinten aufdem Grunde des Seinelaufes wären gar nicht mehr da. Rechts und links leuchtete die Wut des Feuers empor und ließ hinter sich ein gewaltiges schwarzes Loch. Sie sahen nichts weiter als eine gewaltige Finsternis, ein Nichts, als sei ganz Paris vom Feuer verschlungen, in ewiger Nacht verschwunden. Auch der Himmel war tot, die Flammen schlugen so hoch empor, daß sie die Sterne auslöschten.
Maurice, den der Fieberwahn wieder packte, stieß ein närrisches Gelächter aus.
»Ein schönes Fest im Staatsrat und in den Tuilerien... Die ganzen Gebäude sind beleuchtet, die Kronleuchter funkeln, die Frauen tanzen! ... Ah, tanzt nur, tanzt nur mit euren rauchenden Röcken, mit euren brennenden Haaren ...«
Mit dem gesunden Arme rief er die Erinnerung an die Feste Sodoms und Gomorrhas wieder empor, die Musiken, die Blumen, die ungeheuerlichen Vergnügungen, bei denen die Paläste von derartigen Ausschweifungen strotzten und mit ihrem Überfluß an Kerzen die Nacktheit in solcher Abscheulichkeit sehen ließen, daß sie sich von selbst entzündeten. Plötzlich gab es einen fürchterlichen Krach. In den Tuilerien hatte das Feuer von beiden Enden her den Marschallsaal erreicht. Die Pulverfässer hatten sich entzündet und der Pavillon de l'Horloge flog mit der Gewalt einer Pulverfabrik in die Luft. Eine Riesengarbe stieg in die Höhe und erfüllte wie ein großer Busch den Himmel, der Flammenstrauß dieses Schreckensfestes.
»Bravo! Feiner Tanz!« rief Maurice, wie beim Schluß eines Schauspiels, als alles wieder in Finsternis zurücksank.
Stotternd flehte Jean ihn abermals an, in verworrenen Sätzen. Nein, nein! Man muß nichts Böses wünschen. Wenn dies nun das allgemeine Ende bedeutete, gingen sieselbst dann nicht auch zugrunde? Und seine ganze Eile galt jetzt einer schleunigen Landung, um diesem gräßlichen Schauspiel zu entgehen. Er war indessen doch vorsichtig genug, erst noch unter der Brücke de la Concorde durchzutreiben, damit sie erst an der Böschung des Kais de la Conférence landen brauchten, hinter der Biegung der Seine. Aber auch an diesem bedeutsamen Wendepunkt vertat er erst ein paar Minuten mit dem ordentlichen Festmachen des Bootes; denn er besaß eine zu hohe Achtung vor dem Eigentum anderer. Sein Plan ging dahin, die Rue des Orties über den Place de la Concorde und die Rue Saint-Honoré zu gewinnen. Nachdem er Maurice sich hatte auf die Böschung setzen lassen, stieg er allein die Treppe zum Kai hinauf, da er sich wieder von Unruhe ergriffen fühlte, als er sich klarmachte, wieviel Mühe ihnen die Überwindung all der ihrer wartenden
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