Der Zusammenbruch
Hindernisse machen würde. Da lag die uneinnehmbare Festung der Kommune, die mit Geschützen gespickte Terrasse der Tuilerien, die durch hohe, festgebaute Barrikaden abgesperrten Rue Royale, Saint-Florentin und de Rivoli; das erklärte auch das Vorgehen der Versailler Truppen, deren Linien in dieser Nacht einen ungeheuren einspringenden Winkel bildeten mit dem Scheitel am Place de la Concorde und ihren Endpunkten am rechten Ufer am Güterbahnhof der Kompanie du Nord und dem andern auf dem linken an einer der Bastionen der Umwallung nahe beim Tor von Arceuil. Aber es mußte bald hell werden; die Kommunarden hatten die Tuilerien und die Barrikaden geräumt und die Truppen sich sofort des Viertels bemächtigt, inmitten einer neuen Feuersbrunst, zwölf weiterer Häuser an der Kreuzung der Rue Saint-Honoré und Royale, die seit neun Uhr abends brannten.
Als Jean die Böschung wieder herunterkam, fand er Maurice unten nach Überwindung seiner übertriebenen Aufregung schlaftrunken, wie betäubt vor.
»Leicht wird das nicht... Kannst du wenigstens gehen, mein Junge?«
»Ja, ja, sei nur ruhig. Ich komme schon noch hin, tot oder lebendig.«
Vor allem machte es ihm Mühe, die Steintreppe hinaufzukommen. Oben auf dem Kai ging er dann langsam am Arme seines Gefährten mit den Schritten eines Nachtwandlers weiter. Obwohl es noch nicht ganz hell war, erfüllte doch der Widerschein der Brände rings umher den weiten Platz mit einer bleichen Dämmerung. So schritten sie durch die Einsamkeit dahin, das Herz von dem trübseligen Anblick dieser Zerstörung zusammengeschnürt. An den beiden Endpunkten, am andern Ende der Brücke und am Ausgange der Rue Royale bemerkten sie undeutlich die gespenstischen Erscheinungen des Palais Bourbon und der Madeleine, die von den Kanonen bearbeitet waren. Die Terrasse der Tuilerien, in die eine Bresche gelegt war, lag teilweise in Trümmern. Auf dem Platze selbst hatten die Kugeln die Bronzebilder der Springbrunnen durchbohrt; der Riesenrumpf des Standbildes der Stadt Lille lag am Boden, während das von Straßburg daneben in Trauerschleier gehüllt um all die Trümmer zu trauern schien. Dicht bei dem unversehrten Obelisken war in einem Laufgraben ein Gasrohr durch Hiebe mit der Hacke aufgespalten; ein Zufall hatte das Gas entzündet, so daß es mit zischendem Geräusch in einer langen Flamme emporschoß.
Der die Rue Royale abschließenden Barrikade, zwischen dem Marineministerium und dem Garde-Meuble, die beidevor dem Feuer gerettet waren, ging Jean aus dem Wege. Er hörte hinter den Säcken und Fässern mit Erde, aus denen sie hergestellt war, die groben Stimmen von Soldaten. Auf der Vorderseite verteidigte sie ein mit fauligem Wasser angefüllter Graben, in dem der Leichnam eines Verbündeten schwamm; und durch eine Bresche konnten sie die Eckhäuser der Rue Saint-Honoré sehen, die niedergebrannt waren, trotzdem die Spritzen aus der ganzen Bannmeile zusammengekommen waren, deren Zischen sie unterscheiden konnten. Die kleinen Bäume rechts und links, die Häuschen der Zeitungsverkäufer lagen zerschmettert, von Kugeln durchlöchert da. Ein lautes Geschrei erhob sich; die Feuerwehrleute hatten in einem Keller sieben Mieter eines der Häuser halb verkohlt aufgefunden.
Obwohl die Barrikade, die die Rue Saint-Florentin und de Rivoli absperrte, mit ihrer hohen, klugen Bauart noch furchtbarer erschien, hatte Jean doch das richtige Gefühl, daß es hier leichter sein müsse, durchzukommen. Tatsächlich lag sie vollkommen verlassen da, ohne daß die Truppen es schon gewagt hätten, sie zu besetzen. Kanonen schliefen hier in stummer Verlassenheit. Keine Menschenseele hinter diesem uneinnehmbaren Wall, nichts als ein Hund, der sich verlaufen hatte und nun weglief. Als aber Jean in die Rue Saint-Florentin hineineilte, während er den schwächer werdenden Maurice unterstützte, trat gerade das ein, was er befürchtet hatte: sie stießen auf eine ganze Kompanie des achtundachtzigsten Linienregiments, die die Barrikade umgangen hatte.
»Herr Hauptmann,« erklärte er, »das ist ein Freund von mir, den die Räuber verwundet haben, und ich bringe ihn zum Verbinden.«
Der Rock, den Maurice über die Schultern geworfen hatte, rettete ihn, und Jeans Herz klopfte zum Zerspringen, während sie zusammen die Rue Saint-Honoré hinabgingen. Der Tag brach jetzt an, Schüsse kamen aus den Querstraßen, denn es wurde noch im ganzen Viertel gefochten. Es mußte mit einem Wunder zugehen, wenn sie die Rue des Frondeurs
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