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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Seit Reims waren sie toll drauflos marschiert, sechzig Kilometer in zwei Tagemärschen. Wenn es so weiter ging und immer weiter geradeaus, dann würden sie zweifellos die zweite deutsche Heeresgruppe über den Haufen werfen und Bazaine die Hand reichen, ehe die dritte, die des Kronprinzen von Preußen, von der es hieß, sie sei bei Vitry-les-François, Zeit gefunden hätte, um sich wieder gegen Verdun zu wenden.
    »Ach verflucht! Läßt man uns denn vor Hunger verrecken?« fragte Chouteau um sieben und stellte fest, daß noch keine Verteilung stattgefunden habe.
    Klugerweise hatte Jean von Loubet schon das Feuer anmachen und dann den Kessel mit Wasser aufsetzen lassen; und da sie kein Holz hatten, hatte er ein Auge zudrücken müssen, als dieser, um sich welches zu besorgen, Latten von einem benachbarten Gartenzaun abriß. Als er dann aber davon sprach, Reis mit Speck machen zu lassen, mußten sie gestehen, daß der Reis und der Speck im Straßendreck von Saint-Etienneliegengeblieben waren. Chouteau log hartnäckig und behauptete, das Paket hätte sich von seinem Tornister losgemacht, ohne daß er etwas davon gemerkt hätte.
    »Schweinehunde seid ihr!« schrie Jean voller Wut. »Das Essen wegwerfen, wenn so viel arme Teufel mit leerem Magen herumlaufen!«
    Ebenso war es mit den drei auf die Tornister geschnallten Broten: sie hatten nicht auf ihn gehört, und der Regen hatte die Brote so aufgeweicht, daß sie ganz zergangen waren, ein reiner Matsch, den man unmöglich zwischen die Zähne nehmen konnte.
    »Nette Kerle seid ihr!« wiederholte er. »Wir haben ja alles! Da sitzen wir nun ohne eine Rinde ... Ach! verdammte Schweinehunde seid ihr!«
    Gerade ertönte der Hornruf für den Sergeanten in einer dienstlichen Angelegenheit, und der Sergeant Sapin kam mit seinem trübseligen Gesicht, um den Leuten seiner Abteilung zu sagen, daß sie sich mit ihren eisernen Beständen begnügen müßten, da jede Verteilung unmöglich sei. Der Train wäre bei dem schlechten Wetter auf dem Wege stecken geblieben, hieß es. Und die Herde, die hatte sich wohl infolge Gegenbefehls verkrümelt. Später erfuhren sie, daß, weil das fünfte und zwölfte Korps heute wieder nach Réthel hinaufgestiegen waren, wo das Hauptquartier sich einrichten sollte, die Vorräte aller Dörfer dorthin zusammengeströmt seien, und zugleich auch die Bevölkerung in ihrem fieberhaften Wunsch, den Kaiser zu sehen, daß vor dem siebenten Korps das Land sich völlig entleert hatte: kein Fleisch, kein Brot, nicht mal Einwohner mehr. Und als Gipfel allen Unglücks hatte ein Mißverständnis die Vorräte der Intendantur nach Chêne-Populeur geleitet. Während des ganzen Krieges war eseine ständige Verzweiflung über die unseligen Intendanten, über die die Soldaten zu brüllen hatten und deren Fehler häufig nur darin bestand, daß sie genau an den Treffpunkten waren, an denen die Truppen nicht eintrafen.
    »Dreckige Schweinehunde, das seid ihr!« wiederholte Jean außer sich, »ihr verdient gar nicht, daß ich mir noch die Mühe gebe, doch noch etwas für euch auszugraben; aber schließlich muß ich doch dafür aufkommen, daß ihr nicht auf dem Marsche zusammenklappt!«
    Er ging auf Entdeckungen los, was jeder gute Korporal tun muß, und nahm Pache mit sich, den er wegen seiner Sanftmut gern hatte, obwohl er ihm reichlich tief im Pfaffentum steckte. Einen Augenblick vorher hatte Loubet in zwei- oder dreihundert Meter Entfernung einen kleinen Hof entdeckt, eine der letzten Behausungen von Contreuve, wo er einen offenbar schwunghaft gehenden Handel bemerkte. Er rief Chouteau und Lapoulle zu sich und sagte:
    »Wir wollen auch mal losziehen. Mir kommt's so vor, als ob es da unten allerlei Kram gäbe.«
    Maurice wurde zur Bewachung des kochenden Wasserkessels zurückgelassen mit dem Auftrage, das Feuer zu unterhalten. Er hatte sich auf seinen Mantel gesetzt und den Schuh ausgezogen, um seine Wunde trocknen zu lassen. Der Anblick des Lagers fesselte ihn; alle Korporalschaften waren in Bewegung, da sie ja doch auf eine Verteilung nicht mehr zu warten brauchten. Er kam zu dem Schluß, daß es manchen stets an allem fehle, während andere, entsprechend der Voraussicht und der Geschicklichkeit des Korporals und der Leute, stets in Überfluß lebten. Mitten in der gewaltigen ihn umgebenden Bewegung sah er durch die Zelte und die Gewehrpyramidenhindurch Leute, die nicht einmal ein Feuer hatten anzünden können, andere, die sich schon voller Ergebung für die Nacht hingelegt

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