Der Zusammenbruch
als es hell war; und da sie erst gegen acht Uhr weitermarschieren sollten, kam er auf den Gedanken, auf den Hügel nach dem Lager der Reserveartillerie zu gehen und seinem Vetter Honoré die Hand zu geben. Sein durch eine gute Nachtruhe gekräftigter Fuß machte ihm weniger zu schaffen. Wieder erregte der so ordentlich aufgestellte Artilleriepark seine Bewunderung, die sechs Geschütze jeder Batterie genau in einer Linie, hinter ihnen die Protzen, die Munitionswagen, Vorratswagen, Schmieden. Weiterhin wieherten die Pferde an der Leine, die Nasen dem Sonnenaufgang zugekehrt. Er fand Honorés Zelt sofort infolge der vollkommenen Ordnung, die den Leuten jedes Geschützes eine besondere Reihe von Zelten zuweist, so daß der Anblick eines Lagers ohne weiteres die Anzahl der Geschütze erkennen läßt.
Als Maurice eintraf, waren die Artilleristen schon auf und tranken Kaffee; zwischen dem Spitzenreiter Adolf und dem Richtkanonier Louis, seinem »Gatten«, herrschte Zank. Inden drei Jahren, die sie miteinander »verheiratet« waren, gemäß dem Brauch, einen Berittenen und einen der Bedienung zu Fuß zusammenzukoppeln, kamen sie gut miteinander aus, solange es nicht zum Essen ging. Louis, der gebildeter war und recht klug, nahm die Abhängigkeit, in der jeder Berittene seinen Fußgänger hält, ruhig hin; er schlug das Zelt auf, ging zum Arbeitsdienst, sorgte für die Suppe, während Adolf sich mit der Miene vollkommenster Oberhoheit mit seinen beiden Pferden abgab. Der erstere bockte aber, schwarz und mager wie er war und an außerordentlichem Hunger leidend, wenn der andere, sehr lange mit seinem blonden Riesenschnurrbart sich als Herr zuerst bedienen wollte. Heute morgen kam der Zank davon her, daß Louis, der den Kaffee gemacht hatte, Adolf beschuldigte, alles allein zu trinken. Sie mußten ausgesöhnt werden.
Jeden Morgen nach dem Wecken ging Honoré, um nach seinem Geschütz zu sehen, ließ es unter seinen Augen vom Nachttau trocknen, als ob er ein Lieblingstier abriebe aus Furcht, es könnte Reißen bekommen. Da stand er also wie ein Vater und sah es in der kühlen Morgenluft leuchten, als er Maurice erkannte.
»Sieh da! Ich wußte, die 106er lägen in der Nähe; ich habe gestern einen Brief aus Remilly bekommen und wollte herunterkommen ... Laß uns einen Weißen trinken.«
Um mit ihm allein zu sein, brachte er ihn zu dem kleinen Hof, den die Soldaten am Abend vorher geplündert hatten, wo aber der unverbesserliche Bauer trotz allem voller Gier nach Gewinn nun eine Art Kneipe aufgemacht hatte, indem er ein Fäßchen Weißwein auflegte. Auf einem Brett vor der Türe hielt er seine Ware für vier Sous das Glas feil, wobei er von dem Knecht unterstützt wurde, den ererst vor drei Tagen gemietet hatte, dem riesigen blonden Elsässer.
Honoré stieß gerade mit Maurice an, als seine Augen auf diesen Menschen fielen. Verblüfft sah er ihn einen Augenblick an. Dann stieß er einen fürchterlichen Fluch aus.
»Herrgottsdonnerwetter! Goliath!«
Er sprang vorwärts und wollte ihm an die Gurgel. Aber der Bauer, der sich einbildete, man wolle ihn wieder ausrauben, sprang zurück und verschanzte sich. Eine Verwirrung entstand im Augenblick; alle Soldaten, die da waren, stürzten sich dazwischen, während der Wachtmeister fast an seinem wütenden Geschrei erstickte:
»Mach doch auf, mach doch auf, dämliches Viech!... Das ist ja ein Spion, ich sage dir, das ist ein Spion!«
Jetzt zweifelte Maurice nicht länger. Er hatte ganz genau den Mann wiedererkannt, den man im Lager von Mülhausen aus Mangel an Beweisen hatte laufen lassen; und dieser Mann war Goliath, der frühere Knecht Vater Fouchards in Nemilly. Als sich der Bauer endlich dazu verstand, die Tür zu öffnen, konnten sie ruhig überall herumwühlen; der Elsässer, der blonde Riese mit dem gutmütigen Gesicht, war verschwunden, der Mann, den der General Bourgain-Desfeuilles am Abend vorher vergeblich ausgefragt hatte und vor dem er selbst beim Essen in vollster Ahnungslosigkeit alles ausplauderte. Zweifellos war der Bursche durch ein nach hinten hinaus gehendes Fenster entsprungen, das sie offen fanden; aber vergeblich klapperten sie die ganze Umgebung ab; so groß er war, hatte er sich verflüchtigt wie eine Rauchwolke. Maurice mußte Honoré, dessen Verzweiflung zu vielsagend für die Kameraden war, beiseite führen, denndie brauchten doch nicht gerade in diese traurigen Familiengeschichten einzudringen.
»Herrgottsdonnerwetter! wie herzlich gern hätte ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher