Der Zusammenbruch
hatte, und begleitet war dieser erfundene Bericht von lebendigen Schilderungen, wie Menschen und Pferde sich an den Felsen zerschmetterten, vollkommen vernichteten, so daß man keinen heilen Körper zu beerdigen fand. Dann kamen reichliche Einzelheiten über den jammervollen Zustand der deutschen Heere, seitdem sie sich in Frankreich befanden: die schlecht ernährten, schlecht ausgerüsteten, gänzlicher Entbehrung verfallenen Mannschaften starben massenhaft an den Wegen entlang an den scheußlichsten Krankheiten. Ein anderer Aufsatz erzählte, der König von Preußen habe die Diarrhöe und Bismarck habe sich ein Bein gebrochen, als er aus dem Fenster eines Wirtshauses sprang, in dem ihn die Zuaven beinahe gefaßt hätten. Sehr schön, all dieses! Lapoulle lachte, als sollten ihm die Kinnbacken brechen, während Chouteau und die andern, ohne den Schatten eines Zweifels zu äußern, sich an dem Gedanken berauschten, nun bald die Preußen wie Spatzen nach einem Hagelschauer zusammenfegen zu können. Vor allem krümmten sie sich bei dem Gedanken an Bismarck! Ach ja! Die Turkos und die Zuaven, das waren tapfere Kerls! Alle möglichen Gerüchte liefen über sie um. Deutschland zitterte vor Wut und behauptete, es sei eines zivilisierten Volkes unwürdig, sich so durch Wilde verteidigen zu lassen. Obwohl ihre Reihen schon bei Fröschweiler stark gelichtet waren, schienen sie doch noch unberührt und unbesiegt.
Auf dem kleinen Turm von Dontrien schlug es sechs, und Loubet rief:
»Ran an die Suppe!«
Die Korporalschaft stand andächtig im Kreise herum. Im letzten Augenblick hatte Loubet bei einem benachbarten Bauern noch Gemüse entdeckt. Es war ein wahrer Hochgenuß, eine Suppe, die nach Wurzeln und Porree schmeckte und für den Magen so weich wie Sahne war. Die Löffel klapperten laut in den Schüsseln. Dann mußte Jean, der heute die Zuteilung besorgte, mit größter Genauigkeit das Fleisch zerschneiden; denn die Augen begannen zu funkeln, und es hätte Gebrumm gegeben, wenn ein Stück größer ausgesehen hätte als das andere. Bis über die Augen tauchten sie in ihre Schüsseln und machten alles blank.
»Ach! Herrgott nochmal!« erklärte Chouteau, als er mit allem fertig war und sich auf den Rücken ausstreckte, »das ist doch besser als ein Tritt vor den Hintern!«
Auch Maurice fühlte sich sehr satt und glücklich und dachte nicht mehr an seinen Fuß, der aufgehört hatte zu brennen. Er nahm die ruppige Gesellschaft jetzt ruhig hin und stellte sich mit ihnen angesichts der physischen Notwendigkeiten des gemeinschaftlichen Lebens auf den Stand einer kindlichen Gleichheit. Nachts schlief er jetzt den gleichen tiefen Schlaf wie seine Zeltkameraden, alle auf einem Haufen, zufrieden, bei dem reichlich fallenden Tau unter Dach zu sein. Da ist noch zu erwähnen, daß Lapoulle auf Loubets Anstiften aus einer benachbarten Dieme ein paar mächtige Arme voll Stroh geholt hatte, in dem die sechs fidelen Kerls wie in einem Federbett schnarchten. Und in der klaren Nacht erhellten die Feuer der hunderttausend schlafenden Männer an den Ufern der freundlichen, langsam durch Weiden sich dahinwindendenSuippe entlang die weite Ebene von Auberive bis Heutrégiville auf fünf Meilen wie ein Sternenstreifen.
Bei Sonnenaufgang kochten sie Kaffee; die Bohnen wurden mit dem Gewehrkolben in einer Schüssel zerstoßen, ins kochende Wasser geworfen und der Satz mit einem Tropfen kalten Wassers niedergeschlagen. Der Aufgang des Tagesgestirns war heute von königlicher Pracht inmitten großer Wolken aus Purpur und Gold; aber selbst Maurice empfand nichts mehr von diesem Himmelsschauspiel am Horizont, und nur Jean, der nachdenkliche Bauer, betrachtete die rote Dämmerung mit unruhiger Miene, da sie Regen anzeigte. Er tadelte auch Loubet und Pache heftig beim Aufbruch, als das am Abend vorher gebackene Brot verteilt wurde, von dem die Korporalschaft drei lange Brote erhielt, und er sah, daß sie es oben auf ihren Tornistern festgemacht hatten. Die Zelte waren zusammengenommen, die Tornister zugeschnallt, und sie hörten nicht auf ihn. Auf allen Kirchtürmen des Ortes schlug es sechs, als die gesamte Armee in Bewegung kam und ihren Vormarsch in der morgenfrohen Hoffnung dieses neuen Tages munter wieder aufnahm.
Um wieder auf die Straße von Reims nach Vouziers zu kommen, schlug sich das 106. Regiment fast sogleich querfeldein und stieg über eine Stunde lang über Stoppelfelder. Hoch im Norden sah man zwischen den Bäumen hindurch
Weitere Kostenlose Bücher