Der Zusammenbruch
erkennen, als der sein Pferd an den Rand eines Tümpels trieb; sie konnten sich einen Augenblick unterhalten. Der Jäger schien betäubt, verstört, wußte von nichts, hatte seit Reims nichts gesehen; ja doch, zwei Ulanen hatte er gesehen, Teufel, die auftauchten und wieder verschwanden, ohne daß man wußte, woher sie kamen noch wohin sie gingen. Man erzählte sich schon Geschichten wie die, daß vier Ulanen im Galopp in eine Stadt einritten, sie den Revolver in der Faust durchquerten und zwanzig Kilometer von ihrem Korps entfernt sie eroberten. Sie waren überall, sie zogen vor den Heeresteilen her, summend wie ein Bienenschwarm, ein beweglicher Vorhang, hinter dem die Infanterie ihre Bewegungen versteckte und in vollster Sicherheit wie zu Friedenszeiten marschieren konnte. Maurice krampfte sich das Herz zusammen, als er sah, wie die Straße von Jägern und Husaren vollgestopft war, die man so schlecht verwendete.
»Na, auf Wiedersehen!« sagte er und schüttelte dem Jäger die Hand; »vielleicht braucht man euch doch noch da vorne.«
Aber der Jäger schien über seine Tätigkeit verzweifelt. Er liebkoste Zephir mit einer betrübten Handbewegung, als er antwortete:
»Ach! Quatsch! Hier machen sie die Tiere tot und den Menschen tun sie nichts ... Es ist widerwärtig!«
Als Maurice am Abend den Schuh ausziehen wollte, um nach seinem Hacken zu sehen, in dem ein starkes Fieber bohrte, riß die Haut ab. Das Blut spritzte heraus, und er stieß einen Schmerzensschrei aus. Jean, der zufällig dabeistand, schien von großer mitleidiger Unruhe erfüllt.
»Hören Sie mal, das wird Ernst, Sie werden auf der Nase liegen bleiben. Da müssen wir drauf achten. Lassen Sie mich mal machen.«
Er kniete nieder, wusch die Wunde aus und verband sie mit reinem Leinen, das er aus seinem Tornister genommen hatte. Er machte das mit ganz mütterlichen Bewegungen, mit der Sanftheit eines erfahrenen Mannes, dessen dicke Finger auch zart sein können, wenn es not tut.
Unbesiegbare Rührung überkam Maurice, seine Augen trübten sich, aus dem Herzen stieg ihm in einem riesigen Bedürfnis nach Zuneigung der Wunsch auf die Lippen, ihn du zu nennen, als ob er in dem bisher mit Abscheu, ja, am Abend vorher noch mit Verachtung betrachteten Bauern einen Bruder gefunden hätte.
»Du bist wirklich ein braver Kerl... Ich danke dir, mein Alter.« Jean zeigte sein ruhiges Lächeln und nannte ihn glückstrahlend nun auch du.
»Jetzt habe ich auch noch Tabak, mein Junge; möchtest du eine Zigarette?«
5.
Am andern Morgen, dem 26., fühlte Maurice sich beim Aufstehen ganz steif; die Schultern waren ihm von der Nacht im Zelte wie zermalmt. Er war auch nicht an den harten Erdboden gewöhnt; und da am Abend vorher den Leutenverboten worden war, die Schuhe auszuziehen, und die Sergeanten im Dunkeln herumliefen und nachfühlten, um sich zu vergewissern, daß alle Schuhe und Gamaschen anbehalten hätten, war sein Fuß nicht gerade besser geworden; er schmerzte und brannte vor Fieber; daß er sich die Beine erkältet hatte, rechnete er nicht mit, denn er war unklug genug gewesen, sie unter der Leinwand hervorzustecken, um sie ausstrecken zu können.
Jean sagte ihm sofort:
»Junge, wenn's heute weitergeht, gehst du besser zum Stabsarzt und läßt dich auf einen Wagen packen.«
Aber niemand hatte eine Ahnung; die widersprechendsten Gerüchte liefen umher. Einen Augenblick schien es, als sollte der Weitermarsch aufgenommen werden; das Lager wurde abgebrochen, das ganze Armeekorps setzte sich in Bewegung und zog durch Vouziers; auf dem linken Aisneufer wurde nur eine Brigade der zweiten Division zurückgelassen, um die Straße nach Monthois weiter zu beobachten. Auf der andern Seite der Stadt am rechten Ufer wurde dann plötzlich gehalten und die Gewehre wurden auf den Feldern und Wiesen zusammengestellt, die sich auf beiden Seiten der Straße nach Grand-Pré ausdehnen. Der Abmarsch der vierten Husaren, die in diesem Augenblick im scharfen Trab auf dieser Straße abzogen, führte zu allen möglichen Schlußfolgerungen.
»Wenn wir hierbleiben, warte ich«, sagte Maurice, den der Gedanke an den Stabsarzt und den Ambulanzwagen abstieß.
Bald wurde es tatsächlich klar, daß sie dort lagern würden, bis General Douay sich bestimmte Aufklärung über die Bewegungen des Feindes verschafft hätte. Seitdem er am Abend vorher die Division Margueritte auf Chêne hatte losziehen sehen, befand er sich in wachsender Angst, da er nunwußte, er stehe ungedeckt da,
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