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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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auf dasselbe herauskamen, ohne den Versuch einer Entschuldigung oder einer Erklärung des Geschehenen. Und nicht ein Wort von dem Kinde, nichts als ein Lebewohl voll unendlicher Zärtlichkeit.
    Der Brief rührte Maurice sehr; sein Vetter hatte ihn früher zu seinem Vertrauten gemacht. Er erhob die Augen, und da er ihn in Tränen sah, umarmte er ihn brüderlich.
    »Mein armer Honoré!« Aber der Wachtmeister war schon seiner Rührung Herr geworden. Sorgfältig steckte er den Brief in die Tasche und knöpfte seine Jacke wieder zu.
    »Ja, das sind so Geschichten, die einen umschmeißen ...Ach, der Gauner, hätte ich ihn doch abwürgen können! ... Na, wir werden schon sehen.«
    Die Hörner ertönten zum Abbrechen des Lagers, und sie mußten laufen, um jeder wieder zu seinem Zelte zu kommen. Die Vorbereitungen zogen sich übrigens in die Länge; die Truppen mußten mit dem Tornister auf dem Rücken bis fast neun Uhr warten. Die Führer schien eine Ungewißheit ergriffen zu haben, die schon nicht mehr nach der schönen Festigkeit der ersten beiden Tage aussah, als das siebente Korps sechzig Kilometer in zwei Tagemärschen zurückgelegt hatte. Und eine merkwürdige, beunruhigende Nachricht lief seit dem Morgen um: die drei andern Korps hätten den Marsch nach Norden angetreten, das erste nach Jumville, das fünfte und zwölfte nach Réthel; das Widerspruchsvolle dieses Marsches erklärte man mit Verpflegungsschwierigkeiten. Dann zogen sie also nicht mehr auf Verdun? Warum dann dieser verlorene Tag? Das schlimmste war, daß die Preußen jetzt nicht mehr weit sein konnten, denn die Offiziere hatten bereits den Mannschaften mitgeteilt, sie dürften nicht nachbummeln, jeder Nachzügler könnte von den berittenen feindlichen Aufklärungstruppen aufgehoben werden.
    Es war am 25. August, und wenn Maurice sich späterhin an Goliaths Verschwinden erinnerte, so fühlte er sich immer noch fest überzeugt, daß der Mann einer von denen war, die den deutschen Großen Generalstab über die genauen Bewegungen der Heeresgruppe von Châlons unterrichteten, wodurch der Richtungswechsel der dritten deutschen Heeresgruppe hervorgerufen wurde. Am nächsten Tage verließ der Kronprinz von Preußen Revigny, der Stellungswechsel begann, jener Flankenangriff mit seiner riesenhaften Entwicklung in bewundernswert geordneten Eilmärschen durch dieChampagne und die Ardennen. Während die Franzosen zauderten und, wie von plötzlicher Lähmung ergriffen, auf der Stelle hin und herschwankten, machten die Preußen in ihrer riesigen Umgehung als Treiber bis zu vierzig Kilometer am Tage und schoben die Menschenherde, der sie auf der Spur waren, gegen den Grenzwald.
    Endlich ging's los, und die Armee drehte sich an diesem Tage tatsächlich um ihren linken Flügel; das siebente Korps durchlief nicht mehr als die zwei Kilometer, die Contreuve von Vouziers trennen, während das fünfte und zwölfte Korps unbeweglich in Réthel blieben und das erste bei Attigny lag. Von Contreuve bis zum Aisnetal fing die Ebene wieder an in ihrer Nacktheit; bei der Annäherung an Vouziers wand sich die Straße über graues Gelände zwischen vereinzelten Hügeln hindurch, ohne Baum, ohne ein Haus, trübselig wie die Wüste; und der so kurze Tagemarsch wurde in einem ermüdeten, verärgerten Schritt zurückgelegt, was ihn noch schrecklich zu verlängern schien. Um Mittag machte man auf dem linken Ufer der Aisne halt und biwakierte auf der nackten Erde, deren letzte Erhöhungen das Tal beherrschten und von hier aus einen Überblick über die sich am Fluß entlang ziehende Straße nach Monthois gewährten, auf der sie den Feind erwarteten.
    Aber Maurice war wahrhaft starr, als er auf eben dieser Straße von Monthois die Division Margueritte daherkommen sah, die ganze Reservekavallerie, die mit Unterstützung des siebenten Korps und der Aufklärung für die linke Flanke der Armee beauftragt war. Nach einem Gerücht zog sie wieder auf Chêne-Populeur. Warum entblößte man so den allein bedrohten Flügel? Warum ließ man die zweitausend Reiter, die man zur Aufklärung an entfernte Punkte hätteleiten müssen, durch die Mitte hindurchziehen, wo sie vollkommen unnütz waren? Das schlimmste war, daß sie bei der Kreuzung ihrer und der Bewegungen des siebenten Korps dessen Säulen unter unentwirrbarer Vermengung von Menschen, Geschirren und Pferden durchschneiden mußten. Chasseurs d'Afrique mußten fast zwei Stunden am Eingang von Vouziers warten.
    Ein Zufall ließ Maurice Prosper

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