Der Zusammenbruch
sich mal wiederfindet,« erklärte Jean. »Lange genug spielen wir nun schon Verstecken, seit wir uns da unten an der Grenze nach ihrer Schlacht verloren hatten ... Aber sind es wohl die, die Mac Mahon geschlagen haben?«
Maurice zögerte und fand keine Antwort. Nach dem, was er in Reims gelesen hatte, schien es ihm schwierig, daß die dritte vom Kronprinzen von Preußen kommandierte Gruppe bei Vouziers sein könne, nachdem sie kaum zwei Tage vorher noch bei Vitry-le-Français gelagert hatte. Es wurde indessen auch von einer dem Befehl des Kronprinzen von Sachsen unterstellten vierten Armee gesprochen, die gegen die Maas vorgehen sollte: die war es zweifellos, obwohl ihn die so plötzliche Besetzung Grand-Prés der Entfernung wegen inErstaunen versetzte. Seine Gedanken gerieten aber endgültig in Verwirrung und er fühlte sich ganz betroffen, als er den General Bourgain-Desfeuilles einen Bauern aus Falaise fragen hörte, ob die Maas nicht durch Buzancy flösse und ob es da feste Brücken gäbe, übrigens erklärte der General mit ahnungslosem Gleichmut, sie würden von einer über Grand-Pré kommenden Gruppe von hunderttausend Mann angegriffen werden, während eine zweite von sechzigtausend von Sainte-Ménehould kommen würde.
»Und dein Fuß?« fragte Jean Maurice.
»Ich fühle jetzt nichts,« erwiderte der lachend; »wenn wir fechten, muß es gehen.«
Wirklich hielt ihn eine derartige nervöse Erregung aufrecht, daß er sich vorkam wie über die Erde erhoben. Sich sagen zu müssen, daß er im ganzen Feldzug noch keine Patrone abgebrannt hatte! Er war an die Grenze gegangen, hatte die schreckliche Angstnacht vor Mülhausen durchgemacht, ohne einen Preußen zu sehen, ohne einen Schuß abzugeben; bis Belfort, bis Reims hatte er zurückgehen müssen, marschierte jetzt seit fünf Tagen von neuem gegen den Feind, und noch immer war sein Chassepot jungfräulich, ungebraucht. Eine zunehmende Wut, eine langsame Erbitterung führte ihn in Versuchung, anzulegen, wenigstens zu zielen, um seine Nerven zu beruhigen. Vor fast sechs Wochen hatte er sich in einem Taumel von Begeisterung gestellt, von Kampf am nächsten Morgen träumend; aber bisher hatte er nichts getan, als seine armen zarten Füße gebraucht, um weit allen Schlachtfeldern aus dem Wege zu gehen und auf der Stelle hin und her zu treten. In der allgemeinen fieberhaften Erwartung gehörte er zu denen, die mit der größten Ungeduld die schnurgerade, zwischen schönen Bäumen ins Unendlicheverlaufende Straße nach Grand-Pré ausforschten. Unterhalb seiner Stellung breitete sich das Tal aus, lief die Aisne wie ein silbernes Band zwischen Weiden und Pappeln dahin; aber unwiderstehlich zog es seine Blicke wieder auf die Straße dort unten.
Gegen vier Uhr entstand Lärm. Die vierten Husaren kamen nach einem langen Umweg zurück; immer üppiger aufgebauschte Geschichten von Gefechten mit Ulanen liefen umher und bestärkten in allen die Gewißheit eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs. Zwei Stunden später kam abermals ein Meldereiter vom General Bordas, ganz verstört, und meldete, dieser wage Grand-Pré nicht mehr zu verlassen, da er überzeugt sei, die Straße nach Vouziers sei abgeschnitten. Das war sie aber noch nicht, denn der Meldereiter konnte ungehindert durchkommen. Von Minute zu Minute aber konnte es der Fall sein, und General Dumont, der die Division führte, ging sofort mit der ihm noch verbleibenden Brigade, um die andere, die sich in einer schwierigen Lage befand, zu entlasten. Die Sonne ging hinter Vouziers unter, dessen Dächer sich schwarz von einer großen roten Wolke abhoben. Lange konnte man der Brigade zwischen den beiden Baumreihen folgen, bis sie sich schließlich in der zunehmenden Dunkelheit verlor.
Oberst von Vineuil wollte sich von der guten Stellung seines Regiments für die Nacht vergewissern. Er war erstaunt, den Hauptmann Beaudouin nicht auf seinem Posten zu finden; und als dieser im selben Augenblick aus Vouziers zurückkam und sich damit entschuldigte, er habe bei der Baronin von Ladicourt gefrühstückt, erhielt er einen mächtigen Rüffel, den er übrigens mit der ordnungsmäßigen Haltung eines guten Offiziers schweigend anhörte.
»Kinder,« wiederholte der Oberst, als er durch seine Leute dahinschritt, »wir werden zweifellos heute nacht angegriffen oder sicher morgen früh bei Tagesanbruch... Seid bereit und denkt daran, daß die 106er noch nie zurückgegangen sind.«
Alles rief ihm zu, alle wollten lieber »einen mit dem
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