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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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kein Mensch bewache mehr die Argonnenpässe, so daß er von einem Augenblick zum andern angegriffen werden konnte. Daher schickte er jetzt die vierten Husaren bis zu den Übergängen von Grand-Pré und Croix-aux-Bois auf Erkundigung mit dem Befehl, um jeden Preis Auskunft zu bringen.
    Abends vorher hatten, dank der Geschäftigkeit des Ortsvorstehers von Vouziers, Brot, Fleisch und Futtermittel verteilt werden können; gegen zehn Uhr morgens durften die Leute Suppe kochen, da man befürchtete, sie würden später keine Zeit mehr dazu haben, als der Aufbruch einer zweiten Truppe, der Brigade Bordas, die den von den Husaren eingeschlagenen Weg nahm, alle Gemüter von neuem beschäftigte. Was nun? Ging es weiter? Konnten sie wieder nicht ruhig essen, nun der Kessel schon auf dem Feuer stand? Aber ein paar Offiziere erklärten, die Brigade Bordas habe nur die Aufgabe, das einige Kilometer entfernte Buzancy zu besetzen. Andere sagten mit mehr Wahrheitsliebe, die Husaren wären auf eine große Anzahl feindlicher Schwadronen gestoßen und die Brigade solle sie wieder heraushauen.
    Das gab ein paar köstliche Ruhestunden für Maurice. Er hatte sich im Lager auf halber Höhe hingestreckt, wo sein Regiment biwakierte; stumpf vor Müdigkeit, blickte er über das grüne Aisnetal, die mit Baumgruppen bestandenen Wiesen, durch deren Mitte der Fluß schläfrig dahinlief. Vor ihm zog sich als Abschluß des Tales Vouziers übereinandergelagert in die Höhe, und breit lagen seine Dächer da, von der Kirche mit ihrem zierlichen Dachreiter und ihrem von einem runden Helm gekrönten Turm beherrscht. Unten in der Nähe der Brücke tauchten die hohen Schornsteine der Gerbereien; am andern Ende aber zwischen dem Grün am Rande des Flusseszeigten sich die mit Mehl bepuderten hohen Gebäude einer großen Mühle. Dieser Überblick über die kleine, im Grünen verlorene Stadt erschien ihm voll süßen Reizes, als habe er seine empfindsamen Träumeraugen wiedergefunden. Seine Jugend stieg wieder vor ihm empor, die Reisen, die er nach Vouziers unternommen hatte, als er noch in seinem Geburtsorte Chêne lebte. Eine Stunde lang vergaß er alles um sich her.
    Die Suppe war längst gegessen, die Rast dauerte immer noch an, als sich gegen halb drei im ganzen Lager eine immer mehr zunehmende dumpfe Bewegung bemerkbar machte. Befehle liefen um, die Wiesen wurden geräumt, sämtliche Truppen erstiegen die Höhen zwischen den beiden vier oder fünf Kilometer voneinander entfernten Ortschaften Chestres und Falaise und gingen dort in Stellung. Die Pioniere hoben bereits Schützengräben aus und richteten Schulterwehren ein, während auf dem linken Flügel die Reserve-Artillerie auf einen Hügel hinaufzog. Es verbreitete sich das Gerücht, General Bordas habe einen Meldereiter mit der Nachricht geschickt, er sei bei Grand-Pré auf überlegene feindliche Kräfte gestoßen und gezwungen worden, auf Buzancy zurückzugehen, was befürchten ließ, daß seine Rückzugslinie auf Vouziers bald abgeschnitten sein würde. Da der Kommandant des siebenten Korps ebenfalls an einen unmittelbar bevorstehenden Angriff glaubte, ließ er seine Leute Gefechtsstellungen einnehmen, um den ersten Stoß aufzufangen, und wartete auf Unterstützung durch den Rest der Heeresgruppe; und einer seiner Adjutanten war bereits mit einem Briefe an den Marschall unterwegs, um ihm die Lage zu erklären und seine Hilfe zu erbitten. Da er schließlich auch durch den gewaltigen, in der Nacht wieder zum Korps gestoßenen Troßgehindert zu werden befürchtete, den er nun abermals mitschleppen mußte, ließ er ihn auf der Stelle wieder in Schwung bringen und leitete ihn auf gut Glück in der Richtung auf Châgny. Das bedeutete die Schlacht.
    »Herr Leutnant, die Geschichte wird wohl ernst?« erlaubte sich Maurice, Rochas zu fragen.
    »Jawohl! verdammt nochmal!« antwortete der Leutnant und schwenkte seine langen Arme. »Sie sollen mal sehen, es wird gleich hübsch warm hergehen.«
    Die Soldaten waren alle begeistert. Seit sich die Schlachtordnung von Chestres bis Falaise hinzog, war die Erregung im Lager noch gestiegen, eine fieberhafte Ungeduld bemächtigte sich der Leute. Endlich sollten sie nun die Preußen sehen, von denen die Zeitungen erzählten, wie matt sie von ihren Märschen wären, wie von Krankheiten erschöpft, verhungert und in Lumpen gekleidet. Und die Hoffnung, sie beim ersten Anlauf über den Haufen zu rennen, fachte in allen Mut an.
    »Es ist schließlich kein Unglück, wenn man

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