Der Zusammenbruch
Scheuerlappen«, um Schluß zu machen, so sehr waren Müdigkeit und Entmutigung seit dem Aufbruch in sie gefahren. Sie sahen ihre Gewehre nach und legten frische Zündnadeln ein. Da es morgens Suppe gegeben hatte, begnügten sie sich jetzt mit Kaffee und Zwieback. Es wurde befohlen, nicht zu schlafen. Feldwachen wurden auf fünfzehnhundert Meter ausgestellt, einzelne Posten bis an die Aisne vorgeschoben. Alle Offiziere blieben an den Lagerfeuern wach. Und vor einer kleinen Mauer konnte man bei dem flackernden Licht eines dieser Feuer gelegentlich die betreßten Uniformen des kommandierenden Generals oder seines Stabes unterscheiden, deren Schatten sich zitternd bewegten, wenn sie nach der Straße zu liefen und in der tödlichen Angst um das Schicksal der dritten Division auf den Tritt von Pferden horchten.
Gegen ein Uhr morgens wurde Maurice auf Einzelposten an den Rand eines Feldes voller Pflaumenbäume, zwischen der Straße und dem Flusse, geschickt. Die Nacht war schwarz wie Tinte. Als er sich in dem erdrückenden Schweigen der schlafenden Landschaft allein befand, fühlte er eine Art von Furcht über sich kommen, eine scheußliche Furcht, die er nicht kannte und nicht überwinden konnte, obwohl er vor Zorn und Scham über sie zitterte. Er hatte sich umgedreht, um durch den Anblick der Wachtfeuer seine Sicherheit wiederzugewinnen; aber ein kleines Gehölz mußte sie ihm verdecken, hinter ihm lag nichts als ein Meer von Finsternis; nur in Vouziers brannten in großer Entfernung noch immer einpaar Lichter, da seine Einwohner, schaudernd in dem Gedanken an die ihnen ohne Zweifel angekündigte Schlacht, sich nicht niedergelegt hatten. Was ihn aber endgültig zu Eis erstarren ließ, war die Feststellung, daß, wenn er sein Gewehr anlegte, er nicht einmal das Korn erkennen konnte. Nun begann die grausamste Art von Warten, in der alle Kräfte seines Wesens sich im Gehör allein anspannten und seine auf kaum wahrnehmbare Geräusche horchenden Ohren sich schließlich mit donnerndem Tosen füllten. Das Rauschen des Wassers in der Ferne, die leichte Bewegung eines Blattes, das Hüpfen eines Käfers lösten einen riesigen Widerhall aus. War das nicht der Galopp von Pferden, unendliches Rollen von Artillerie, das von da drüben gerade vor ihm herüberkam? Hörte er nicht links von sich leises Flüstern, unterdrückte Stimmen, einen im Dunkel herankriechenden Vorposten, der es auf Überrumpelung abgesehen hatte? Dreimal war er nahe daran, einen Lärmschuß abzugeben. Die Furcht, sich zu täuschen und sich dadurch lächerlich zu machen, vermehrte sein Unbehagen. Er war niedergekniet und lehnte die linke Schulter gegen einen Baum; es kam ihm vor, als ob er stundenlang so daläge, als ob man ihn vergessen hätte, als ob das Heer ohne ihn weiterzöge. Plötzlich aber hatte er keine Furcht mehr; er unterschied ganz klar auf der Straße, die sich, wie er wußte, zweihundert Meter vor ihm dahinzog, den regelmäßigen Tritt marschierender Soldaten. Sofort wurde es ihm zur Gewißheit, daß dies die so ungeduldig erwarteten, hart bedrängten Truppen seien und General Dumont die Brigade Bordas zurückbringe. In diesem Augenblick wurde er abgelöst; seine Wache hatte kaum die vorschriftsmäßige Stunde gedauert. Tatsächlich war es die dritte Division, die ins Lager zurückkehrte!Die Erlösung war riesig. Aber alle Vorsichtsmaßregeln wurden verdoppelt, denn die eingebrachten Erkundigungen bestätigten alles, was man über die Annäherung des Feindes zu wissen glaubte. Ein paar mitgebrachte Gefangene, düstere, in ihre Riesenmäntel eingehüllte Ulanen, verweigerten jede Auskunft. Der Morgen stieg mit der bleigrauen Dämmerung eines regnerischen Tages herauf, und die Spannung mit ihrer entnervenden Ungeduld dauerte fort. Seit fast vierzehn Stunden wagten die Leute nicht zu schlafen. Gegen sieben Uhr erzählte Leutnant Rochas, Mac Mahon käme mit dem ganzen Heere. In Wahrheit hatte General Douay als Antwort auf seine Depesche vom Abend vorher, in der er einen Kampf vor Vouziers als unvermeidlich hinstellte, einen Brief vom Marschall erhalten, der ihm auftrug, sich gut zu halten, bis er ihm helfen könnte; der Vormarsch war eingestellt, das erste Korps bewegte sich auf Terron, das fünfte auf Buzancy, während das zwölfte bei le Chêne in zweiter Linie liegenbleiben sollte. Die Erwartung wuchs infolgedessen noch, denn nun war es kein einfaches Gefecht mehr, das sie liefern sollten, jetzt wurde es eine große Schlacht, an der das ganze Heer
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