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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Manne hatte. Und er dachte nur an sie und fühlte sich beunruhigt, weil er sie noch nicht gesehen hatte, obwohl sich sein ganzes Wesen dagegen aufbäumte, seinen Vater diese Unruhe sehen zu lassen. Aber die Sehnsucht riß ihn fort und er fragte mit einer natürlich klingen sollenden Stimme:
    »Ist denn Silvine nicht mehr hier?«
    Fouchard warf auf seinen Sohn einen zweideutigen Blick, in dem ein innerliches Lachen aufleuchtete.
    »Doch, doch.«
    Dann schwieg er und spuckte weit aus; und der Artillerist mußte nach einer Pause wieder anfangen:
    »Dann ist sie wohl schon zu Bett gegangen?«
    »Nein, nein.«
    Endlich ließ sich der Alte zu der Erklärung herbei, daß er am Morgen trotz allem mit seinem kleinen Wagen auf den Markt nach Raucourt gefahren sei und das Mädchen mitgenommen habe. Daß Soldaten durchkamen, war doch kein Grund, weshalb die Welt aufhören sollte, Fleisch zu essen, oder daß man seine Geschäfte darum aufgeben sollte. Er hatte daher, wie alle Dienstag, einen Hammel und ein Viertel Rind da unten hingebracht; gerade war er mit seinem Verkauf fertig gewesen, als ihn die Ankunft des siebenten Korps in ein fürchterliches Gedränge geworfen hatte. Alles lief und schubste sich. Da hatte er Angst bekommen, sie möchten ihm seinen Wagen wegnehmen, und war ohne Silvine abgefahren, die gerade noch Einkäufe in dem Flecken machte.
    »Ach! die wird schon wiederkommen«, schloß er in seinem ruhigen Tonfall. »Sie ist sicher bei ihrem Paten, dem Doktor Dalichamp, untergeschlüpft ... Einerlei, das Mädel hat Mut, wenn sie auch so aussieht, als könnte sie nur gehorchen ... Sie hat sicher gute Eigenschaften ...«
    Wollte er Spaß machen? Wollte er nur zeigen, weshalb er das Mädchen bei sich behielt, das ihn mit seinem Sohn auseinandergebracht hatte, auch trotz des Preußenkindes, von dem sie sich nicht trennen wollte? Abermals wurde sein zweideutiger Blick mit dem stummen Lachen sichtbar.
    »Karlchen liegt da in der Kammer und schläft; sie wird schon nicht mehr lange ausbleiben.«
    Obwohl ihm die Lippen zitterten, blickte Honoré fest auf seinen Vater, als der seinen Gang wieder aufnahm. Und wieder setzte ein unendliches Schweigen ein, während er sich mechanisch Brot abschnitt und immer weiter aß. Auch Jean blieb dabei, ohne es für nötig zu halten, auch nur ein Wort zu sagen. Maurice war satt und betrachtete, die Ellbogen aufden Tisch gestützt, die Einrichtung, die alte Anrichte, die alte Uhr, und träumte von den Ferientagen, die er früher mit seiner Schwester Henriette in Remilly zugebracht hatte. So liefen die Minuten hin, und die Uhr schlug elf.
    »Teufel!« murmelte er, »wir dürfen die andern doch nicht abrücken lassen.«
    Und ohne daß Fouchard sich widersetzte, öffnete er ein Fenster. Tief unter ihm lag das ganze schwarze Tal in dem ein Meer von Finsternis dahinrollte. Als seine Augen sich aber erst gewöhnt hatten, konnte er ganz deutlich die Brücke erkennen, die von zwei Feuern an den steilen Ufern erhellt war. Immer noch gingen Kürassiere hinüber in ihren großen weißen Mänteln, so daß sie wie Gespenster aussahen, deren Pferde, vom Sturme der Furcht gepeitscht, auf dem Wasser dahinliefen. Und so ging das ohne Ende, ohne Unterbrechung weiter in derselben langsamen Bewegung wie eine Geistererscheinung. Die nackten Hügel nach rechts hinüber, auf denen die Armee schlief, blieben unbeweglich in Todesschweigen liegen.
    »Na schön!« sagte Maurice mit einer verzweifelten Handbewegung, »morgen früh geht's also los.«
    Er hatte das Fenster weit offengelassen, und Vater Fouchard, der sein Gewehr wieder aufgenommen hatte, trat auf die Brüstung und sprang mit der Leichtigkeit eines Jünglings hinaus. Einen Augenblick hörten sie ihn mit dem regelmäßigen Schritt eines Postens auf und ab gehen; dann hörte man weiter nichts als das mächtige Geräusch in der Ferne auf der gedrängt vollen Brücke: zweifellos hatte er sich an den Wegrand gesetzt, weil er da ruhiger war, da er die Gefahr kommen sehen konnte, bereit, mit einem Sprunge wieder in sein Haus zu setzen und es zu verteidigen.
    Honoré blickte nun jede Minute auf die Uhr. Seine Unruhe wuchs. Es waren nur sechs Kilometer von Raucourt bis Remilly; für ein junges, kräftiges Mädchen, wie Silvine, kaum über eine Stunde Weg. Warum war sie noch nicht da, wenn der Alte sie schon vor Stunden in dem Wirrwarr eines ganzen Armeekorps verloren hatte, das das Land überschwemmte und die Wege verstopfte? Sicher war ein Unglück geschehen; er

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