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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sah sie schon in üblen Geschichten mitten auf dem Felde verloren, von Pferden zertreten liegen.
    Plötzlich sprangen alle drei auf. Ein rascher Schritt kam die Straße herauf, und sie hörten, wie der Alte sein Gewehr schußfertig machte.
    »Wer kommt da?« schrie er rauh. »Bist du's, Silvine?«
    Keine Antwort. Er drohte zu schießen und wiederholte seine Frage. Da endlich sagte eine keuchende, unterdrückte Stimme:
    »Ja, ja, Vater Fouchard, ich bin's.«
    Dann fragte sie sofort:
    »Und Karlchen?«
    »Liegt und schläft.«
    »Ach, schön! danke!«
    Nun beeilte sie sich nicht weiter und stieß einen tiefen Seufzer aus, in dem all ihre Angst und Ermattung zum Ausdruck kam.
    »Komm durchs Fenster herein, da ist jemand drin.«
    Und als sie in den Raum hineingesprungen war, blieb sie wie gebannt vor den drei Männern stehen. Sie stand in dem flackernden Kerzenlicht da, sehr braun, mit ihrem dichten, schwarzen Haar und den schönen, großen Augen, die sie allein schön genug gemacht hätten bei ihrem länglich-ovalen Gesicht, das bei aller Unterwürfigkeit eine ruhige Kraft anzeigte. Indiesem Augenblick aber jagte der unvermittelte Anblick Honorés ihr alles Blut aus dem Herzen in die Wangen; aber trotzdem wunderte sie sich nicht, ihn hier zu finden, denn während sie von Raucourt zurückrannte, hatte sie nur an ihn gedacht.
    Es würgte ihn, und er fühlte sich schwach werden, aber äußerlich tat er möglichst ruhig.
    »Guten Abend, Silvine.«
    »Guten Abend, Honoré.«
    Um nicht in Tränen auszubrechen, wandte sie den Kopf und lächelte Maurice zu, den sie erst jetzt wiedererkannte. Jean war ihr lästig. Sie rang nach Atem und nahm das Tuch ab, das sie um den Hals trug.
    Honoré ergriff wieder das Wort, aber er duzte sie nicht wie früher:
    »Wir waren in Sorgen um Euch, Silvine, wegen all der Preußen, da die herankommen.«
    Sie wurde plötzlich sehr blaß und ihr Gesicht verriet Fassungslosigkeit; und indem sie unwillkürlich nach der Kammer sah, in der Karlchen schlief, bewegte sie die Hand, wie um eine häßliche Erscheinung wegzujagen, und flüsterte:
    »Die Preußen, ach ja! die habe ich gesehen.«
    Aber ihre Kraft war zu Ende, sie fiel auf einen Stuhl und erzählte, wie sie, als das siebente Korps in Raucourt einrückte, zu ihrem Paten Doktor Dalichamp geflohen wäre und gehofft hätte, Vater Fouchard würde daraufkommen, sie dort abzuholen, ehe er zurückführe. Die große Straße war so verrammelt, daß auch kein Hund sich hineingewagt hätte. Und bis gegen vier Uhr hatte sie ganz ruhig und geduldig gesessen und mit den Damen Leinen zerzupft; denn der Doktor war in dem Gedanken, daß man vielleicht von Metz und Verdun Verwundete herschicken würde, falls es dort zum Schlagenkäme, seit vierzehn Tagen dabei, im großen Saale des Bürgermeisteramts ein Lazarett einzurichten. Leute kamen und sagten, man könne dies Lazarett nur gleich in Gebrauch nehmen; und tatsächlich hörten sie seit Mittag aus der Richtung von Beaumont her Kanonen. Aber das war ja weit weg, und sie hatten keine Angst, als mit einemmal, gerade als die letzten französischen Soldaten Raucourt verließen, eine Granate mit ungeheurem Getöse kam und das Dach eines Nachbarhauses abdeckte. Zwei andere folgten; es war eine deutsche Batterie, die die Nachhut des siebenten Korps beschoß. Schon trafen Verwundete aus Beaumont in der Bürgermeisterei ein, und man befürchtete, eine Granate möchte ihnen auf dem Stroh den Garaus machen, wo sie darauf warteten, daß der Doktor sie operierte. Närrisch vor Angst, richteten die Verwundeten sich wieder auf und wollten trotz ihrer zerschmetterten Gliedmaßen, die ihnen Schmerzensschreie entrissen, in den Keller hinunter.
    »Und dann,« fuhr Silvine fort, »ich weiß nicht, wie es kam, mit einemmal war alles still ... Ich war an ein Fenster gegangen, das nach der Straße und den Feldern hinausgeht. Ich sah niemand mehr, keine rote Hose, als ich starke, schwere Schritte hörte; eine Stimme schrie irgendwas, und alle Gewehrkolben stießen auf einmal auf die Erde ... Unten auf der Straße standen kleine, schwarze Männer, dreckig und mit groben, häßlichen Gesichtern; sie hatten Helme wie unsere Feuerwehrleute. Sie erzählten mir, das wären Bayern ... Als ich dann wieder hoch sah, da sah ich, ach! da sah ich Tausende und aber Tausende von ihnen auf allen Straßen herankommen, über die Felder, durch die Wälder, in dichten Massen ohne Ende. Mit einemmal war das ganze Land schwarz von ihnen. Das war wie eine

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