Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Preußen ... Sie zerschlugen und plünderten alles, sie aßen und tranken alles. Sie stahlen auch Wäsche, Tischtücher und Bettlaken, ja sogar Vorhänge, die sie in lange Streifen zerrissen, um sich die Füße zu verbinden. Ich habe welche gesehen, deren ganzer Fuß nichts als eine einzige blutende Wunde war, so weit waren sie marschiert. Vor dem Hause des Doktors stand ein ganzer Haufen am Straßenrande, die sich die Schuhe auszogen und die Hacken mit spitzenbesetzten Frauenhemden umwickelt hatten, die sie zweifellos der schönen Frau Lefèvre, der Frau des Fabrikanten, gestohlen hatten ... Bis in die Nacht hinein dauerte die Plünderung.Die Häuser hatten keine Türen mehr, alle Öffnungen im Erdgeschoß standen nach der Straße hin offen, und man konnte die Überreste der Sachen im Innern sehen, eine richtige Metzelei, hie die ruhigen Leute in Wut brachte... Ich war auch wie verrückt, ich konnte nicht mehr dableiben. Sie gaben sich Mühe, mich zurückzuhalten, und sagten mir, die Straßen wären versperrt und sie würden mich ganz gewiß totschlagen; ich bin weggerannt und habe mich gleich, wie ich aus Raucourt herauskam, rechts querfeldein geworfen. Wagen mit Haufen von Franzosen und Preußen kamen von Beaumont. Zwei kamen in der Dunkelheit ganz nahe bei mir vorbei. Ach! dieses Geschrei und dies Seufzen, ich lief, ich bin quer durch Felder und Wälder gerannt, ich weiß gar nicht wo überall, ich habe einen großen Umweg nach Villers herüber gemacht... Dreimal habe ich mich versteckt, weil ich glaubte, ich hörte Soldaten. Aber ich habe bloß eine andere Frau getroffen, die auch lief; sie hatte sich aus Beaumont gerettet; die hat mir Sachen erzählt, daß mir die Haare zu Berge standen... Und nun bin ich hier, und bin so unglücklich, ach! so unglücklich!«
    Tränen erstickten sie von neuem. Wie besessen kam sie immer wieder auf die Geschichten zurück, die ihr die Frau aus Beaumont erzählt hatte. Die Frau, die in der Hauptstraße wohnte, hatte seit Tagesanbruch deutsche Artillerie durchkommen sehen. An beiden Straßenrändern hielt eine Reihe Soldaten Pechfackeln, die die Straße wie eine Feuersbrunst so rot überstrahlten. Und in der Mitte tobte der Strom von Pferden, Geschützen und Protzen wie ein Zug aus der Hölle in wütender Hetzjagd dahin. Das war die wütende Hast des Sieges, die teuflische Verfolgung der französischen Truppen, die da unten in irgendeinem Hohlweg vernichtet, zerschmettertwerden sollten. Auf nichts wurde Rücksicht genommen, alles wurde zerbrochen, unter allen Umständen mußte es weitergehen. Den Pferden, die fielen, schnitten sie sofort die Stränge ab und warfen und stießen ihre sich überschlagenden, blutenden Körper zur Seite. Menschen, die über die Straße wollten, wurden auch umgestoßen und von den Rädern in Stücke gehackt. Die Fahrer, die vor Hunger starben, hielten in all diesem Sturmeswüten doch nicht an; im Fluge fingen sie Brotstücke auf, die andere ihnen zuwarfen; und die Fackelträger reichten ihnen auf ihren Bajonettspitzen Stücke Fleisch zu. Dann stachen sie mit demselben Eisen auf die Pferde ein, die vor Angst vorwärts stürzten und schneller dahinjagten. Und es wurde späte Nacht, und immer noch kam Artillerie unter wildem Hurrageschrei durch mit einer zum Sturmesrasen gesteigerten Schnelligkeit.
    Maurice hatte trotz aller Aufmerksamkeit, die er dieser Erzählung schenkte, nach dem Hinunterschlingen seines Imbisses, von Müdigkeit übermannt, den Kopf zwischen seinen Armen auf den Tisch fallen lassen. Jean kämpfte noch einen Augenblick, ehe er seinerseits überwältigt am andern Ende einschlief. Vater Fouchard war wieder auf die Straße hinausgestiegen, und Honoré befand sich allein mit Silvine, die jetzt unbeweglich dem immer noch weit offenen Fenster gegenübersaß.
    Nun erhob sich der Wachtmeister und trat ans Fenster. Die Nacht war so weit und schwarz und voll von dem schweren Atem der Truppen. Aber nun wurden dumpfere Geräusche, Stöße und Krachen hörbar. Dort unten begann jetzt Artillerie über die halb untergetauchte Brücke hinüberzugehen. Manche Pferde bäumten sich aus Schreck vor dem fließenden Wasser. Munitionswagen glitten halb herunter, so daß mansie vollends in den Fluß stürzen mußte. Und als der junge Mann diesen Rückzug auf das andere Ufer betrachtete, der in so peinvoller Langsamkeit schon seit dem Abend andauerte und am nächsten Tage sicher noch nicht vollendet sein würde, da mußte er an die andere Artillerie denken,

Weitere Kostenlose Bücher