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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schwarze Einwanderung, schwarzeHeuschrecken, mehr und mehr, so daß man im Handumdrehen nichts mehr von der Erde sah.«
    Sie wiederholte seufzend ihre frühere Bewegung, als ob sie mit der Hand etwas Häßliches aus ihrem Gedächtnis scheuchen wollte.
    »Und dann, man glaubt gar nicht, was dann losging ... Die Leute schienen seit drei Tagen marschiert zu sein und hatten sich eben bei Beaumont wie Verrückte geschlagen. Sie starben auch vor Hunger, und die Augen traten ihnen aus dem Kopfe, als wären sie halb wahnsinnig ... Die Offiziere versuchten gar nicht, sie zurückzuhalten, alle stürzten sie sich in die Häuser und Läden, sie schlugen Fenster und Türen ein und zerbrachen die Sachen, während sie nach Essen und Trinken suchten, und schlangen alles hinunter, was ihnen in die Hände fiel ... Bei dem Krämer Herrn Simonot habe ich gesehen, wie einer mit seinem Helm aus einem Faß Sirup schöpfte. Andere bissen in rohe Stücke Speck. Wieder andere kauten Mehl. Es hieß, es wäre schon nichts mehr dagewesen, nachdem die Soldaten achtundvierzig Stunden lang durchgezogen seien; und trotzdem fanden sie noch was, sicher verborgene Vorräte; darüber wurden sie so wütend, daß sie alles kaputtschlugen, weil sie glaubten, man wollte ihnen nichts geben. In weniger als einer Stunde waren in den Läden, den Bäckereien, den Schlächtereien, selbst in den Bürgerhäusern alle Scheiben zerschlagen, alle Schränke geplündert und die Keller aufgebrochen und ausgeleert ... Beim Doktor, man kann es sich gar nicht vorstellen, da habe ich einen Dicken dabei getroffen, wie er alle Seife auffraß. Aber vor allem haben sie im Keller gewütet. Wir hörten sie oben wie die wilden Tiere heulen, sie zerbrachen die Flaschen, öffneten die Hähne der Fässer, so daß der Wein auslief, daß es sichanhörte wie ein Brunnen. Sie kamen mit ganz roten Händen wieder herauf, so hatten sie in dem ausgeflossenen Wein herumgepatscht... Und sehen Sie, was dabei herauskommt, wenn sie so wild werden, einen versuchte Doktor Dalichamp vergeblich abzuhalten, einen Liter Opiumlösung zu trinken, die er gefunden hatte. Jetzt ist der Unglücksmensch sicher schon tot, so fürchterlich hatte er zu leiden, als ich wegging.«
    Sie wurde von einem gewaltigen Schauder ergriffen und drückte beide Hände vor die Augen, um nichts mehr zu sehen.
    »Nein, nein! ich hab' schon zuviel davon gesehen, es erstickt mich!«
    Vater Fouchard, der immer noch auf der Straße stand, trat ans Fenster heran, um zuzuhören; die Geschichte dieser Plünderung machte ihn besorgt: er hatte sagen hören, die Preußen bezahlten alles; fingen die jetzt auch an, Diebe zu werden? Auch Jean und Maurice wurden hitzig bei diesen Einzelheiten über den Feind, den dies Mädchen da eben noch gesehen hatte und den sie in dem einen Monat, den man sich schon herumschlug, wohl auch hatten treffen können; Honoré aber saß gedankenvoll, mit einem Leidenszug um den Mund da und hatte nur für sie Teilnahme, dachte nur an die unglückliche alte Geschichte, die sie getrennt hatte.
    In diesem Augenblick aber öffnete sich die Tür der anstoßenden Kammer, und Karlchen wurde sichtbar. Er mußte die Stimme seiner Mutter gehört haben und kam im Hemd, um ihr einen Kuß zu geben. Er sah hell und rosig aus, war sehr dick und hatte einen hellblonden wirren Schopf und große blaue Augen. Silvine erbebte, als sie ihn so plötzlich wiedersah, wie überrascht über die Ähnlichkeit, die er an sichhatte. Kannte sie denn ihr geliebtes Kind nicht wieder, daß sie es so bestürzt ansah wie die Erscheinung eines Alpdrucks? Dann brach sie in Tränen aus.
    »Mein armer Kleiner!«
    Betäubt zog sie ihn in ihre Arme, an ihren Hals, während Honoré leichenblaß die außerordentliche Ähnlichkeit Karlchens mit Goliath feststellte: da war derselbe viereckige Blondkopf, die ganze germanische Rasse in schöner, lächelnder, frischer Kindergesundheit. Der Sohn des Preußen, der Preuße, wie die Witzbolde von Remilly ihn nannten! Und da diese französische Mutter preßte ihn an ihr noch ganz überwältigtes und vom Schauspiel des feindlichen Einbruchs blutendes Herz!
    »Mein armer Kleiner, sei vernünftig, leg dich wieder hin! Geh wieder in die Heia, mein armer Kleiner!«
    Sie trug ihn weg. Als sie dann aus dem Zimmer nebenan wieder zurückkam, weinte sie nicht länger; sie hatte ihr ruhiges, kluges, mutiges Aussehen wiedergewonnen.
    Nun fing Honoré mit bebender Stimme wieder an:
    »Und die Preußen?...«
    »Ach ja! die

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