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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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deren wilder Strom sich, alles kopfüber stürzend, Tiere und Menschen zermalmend, durch Beaumont ergoß, um nur rascher vorwärts zu kommen.
    Honoré trat auf Silvine zu, und seine Stimme tönte bei der von wilden Schauern erfüllten Finsternis so sanft:
    »Seid Ihr unglücklich?«
    »Ach! so unglücklich!«
    Sie fühlte, daß er über die Geschichte, die abscheuliche Geschichte sprechen wolle, und senkte den Kopf.
    »Sagt, wie kam es? ... Ich möchte wissen ...«
    Aber sie konnte nicht antworten.
    »Hat er Euch gezwungen? ... Habt Ihr Euch ihm gegeben?«
    Da stammelte sie mit erstickter Stimme:
    »Mein Gott! ich weiß nicht, ich schwöre Euch, ich weiß es selber nicht ... aber seht, es wäre so schlecht, wenn ich lügen wollte! und ich kann mich auch nicht entschuldigen, nein! ich kann nicht einmal sagen, daß er mich geschlagen hat ... Ihr wart fort, ich war wie verrückt, und da kam es, ich weiß nicht, ich weiß nicht wie!«
    Schluchzen erstickte sie, und er wartete eine Minute, blaß, mit gleichfalls zusammengeschnürter Kehle. Der Gedanke, daß sie nicht lügen mochte, beruhigte ihn indessen. Er fuhr fort, sie zu fragen, und zerbrach sich den Kopf über all das, was er noch nicht verstehen konnte.
    »Mein Vater hat Euch also hier behalten?«
    Sie erhob nicht einmal die Augen, aber sie wurde ruhiger und gewann ihr mutig ergebungsvolles Aussehen wieder.
    »Ich arbeite ja für ihn, ich habe ihn nie viel gekostet mit dem Essen, und da ich doch nun noch einen Mund bei mir hatte, hat er sich das zunutze gemacht und meinen Lohn heruntergesetzt... Jetzt weiß er ganz sicher, daß ich alles tun muß, was er angibt.«
    »Aber warum seid Ihr denn geblieben?«
    Hier zeigte sie sich so überrascht, daß sie ihn anblickte.
    »Ich? Wo sollte ich denn hin? Hier essen wir doch wenigstens, mein Kleiner und ich, hier werden wir doch in Ruhe gelassen.«
    Wieder trat Schweigen ein; Auge in Auge standen sich nun die beiden gegenüber; aus der Ferne, aus dem dunklen Tal tönte das Stöhnen der Massen jetzt lauter, während das Rollen der Geschütze auf der Schiffsbrücke sich ins Endlose verlängerte. Da ertönte ein lauter Schrei, der hinsterbende Schrei eines Menschen oder eines Tieres, in unendlichem Jammer durch die Finsternis.
    »Hört, Silvine,« fing nun Honoré langsam wieder an, »Ihr habt mir da einen Brief geschickt, der mir große Freude gemacht hat... Ich wäre nie wiedergekommen. Dieser Brief aber – ich habe ihn noch heute abend gelesen –, der sagt mir etwas, was sich gar nicht besser aussprechen läßt...«
    Erst war sie blaß geworden, als er davon zu sprechen anfing. Vielleicht war er wütend gewesen, daß so ein freches Weib wie sie ihm zu schreiben wagte. Als er sich aber weiter erklärte, wurde sie ganz rot.
    »Daß Ihr nicht lügen mögt, weiß ich wohl, und deshalb glaube ich auch, was hier auf diesem Papier steht... Ja, jetzt glaube ich es ganz gewiß... Es war recht von Euch,daß Ihr dachtet, wenn ich im Kriege fiele, ohne Euch wiedergesehen zu haben, daß das schrecklich für mich gewesen wäre, so fortzugehen und mir sagen zu müssen, daß Ihr mich nicht mehr liebhättet ... Wenn Ihr mich nun aber doch noch liebhabt, wenn Ihr nie jemand anders geliebt habt ...«
    Die Sprache versagte ihm; er fand keine Worte, so schüttelte ihn die Rührung.
    »Silvine, höre! Wenn diese Schweinehunde von Preußen mich nicht totschlagen, dann möchte ich dich doch noch haben, ja! dann wollen wir heiraten, sobald ich aus dem Dienst bin.«
    Kerzengerade erhob sie sich, sie stieß einen Schrei aus und fiel dem jungen Mann in die Arme. Sprechen konnte sie nicht; alles Blut ihrer Adern war ihr ins Gesicht getreten. Er setzte sich auf den Stuhl und nahm sie auf die Knie.
    »Ich habe gedacht, ich müßte dir das doch sagen, als ich hierher kam ... Wenn mein Vater uns seine Zustimmung verweigert, gehen wir, die Erde ist groß ... Und deinen Kleinen, mein Gott! den können wir doch nicht erwürgen; es werden auch schon mehr kommen, und ich werde ihn schließlich in dem Haufen gar nicht mehr erkennen.«
    Das war die Vergebung. Sie kämpfte noch gegen dies gewaltige Glück; endlich aber murmelte sie:
    »Nein, das ist unmöglich, das ist zuviel. Du wirst es vielleicht eines Tages bereuen ... Aber gut bist du, Honoré, und ich liebe dich!«
    Ein Kuß, den er ihr auf die Lippen drückte, brachte sie zum Schweigen. Sie hatte auch schon nicht mehr die Kraft, das Glück, das über sie kam, von sich zu stoßen, das ganze Leben voll von

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