Der Zusammenbruch
hast, bin ich sehr stolz auf dich.«
Sie wandte sich zu Jean, wie um seine Hilfe zu erbitten. Der sah sie etwas überrascht an, da er sie nicht so hübsch fandwie am Morgen vorher, kleiner und blasser, jetzt, wo er sie nicht mehr durch den Nebelschleier seiner Mattigkeit sah. Was auf ihn einen dauernden Eindruck machte, war die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder; dabei machte sich aber der Unterschied in ihrer Veranlagung gerade jetzt sehr stark geltend: er unterlag mit seiner weiblichen Nervosität, von der Zeitkrankheit ergriffen, der geschichtlichen, sozialen Umwälzung seines Volkes, das von einem Augenblick zum andern der höchsten Begeisterung und der schlimmsten Entmutigung fähig ist; sie, so schmächtig in ihrer Aschenbrödel-Zurückgezogenheit, mit der sich bescheidenden Miene der kleinen Hausfrau, bei ihrer starken Stirn über den tapfern Augen, war von dem heiligen Holze, aus dem Märtyrer geschnitzt werden.
»Stolz auf mich!« schrie Maurice. »Das ist ja ganz unmöglich, wahrhaftig! Seit einem Monat fliehen wir da herum, wir Feiglinge.«
»Das wäre schön!« sagte Jean mit seinem gesunden Menschenverstand. »Wir sind doch nicht die einzigen, wir machen es doch auch nur wie die andern.«
Aber die Abspannung des jungen Mannes mußte sich noch heftiger austoben.
»Weiß Gott, ich habe genug davon! ... Sollte man nicht blutige Tränen weinen über diese ewigen Niederlagen, diese schwachsinnigen Führer, die Soldaten, die man stumpfsinnig wie Herden ins Schlachthaus treibt? ... Da stecken wir nun in einer schönen Sackgasse. Ihr seht ja selbst ganz genau, wie die Preußen von allen Seiten herankommen; und wir müssen uns vernichten lassen, das Heer ist verloren ... Nein, nein! ich bleibe hier, ich lasse mich lieber als Fahnenflüchtiger erschießen ... Jean, du kannst nur ohne mich gehen. Nein! ich komme nicht mit, ich bleibe hier.«
Ein neuer Tränenstrom warf ihn auf sein Kopfkissen nieder. Es war eine unwiderstehliche, nervöse Abspannung, die alles über den Haufen wirft, in der er plötzlich in die tiefste Verzweiflung stürzte, in Verachtung der Welt und seiner selbst, wie das so häufig bei ihm vorkam. Seine Schwester kannte ihn indessen zu gut und blieb ganz ruhig.
»Das wäre sehr häßlich, mein lieber Maurice, wenn du im Augenblick der Gefahr deinen Posten verließest.«
Mit einem Stoß setzte er sich aufrecht.
»Na gut, dann gib mir mein Gewehr, ich will mir selbst das Gehirn ausblasen, das geht ebensoschnell.«
Dann zeigte er mit ausgestrecktem Arm auf Weiß, der schweigend und unbeweglich dastand:
»Seht, der da ist der einzig vernünftige Mensch, jawohl! der einzige, der klar gesehen hat... Weißt du noch, Jean, was er vor einem Monat vor Mülhausen zu mir sagte?«
»Ja, das ist wahr,« bestätigte der Korporal, »der Herr hat gesagt, wir würden geschlagen werden.«
Und die Vorgänge wurden wieder vor ihm lebendig, die ängstliche Nacht, das angstvolle Warten, das ganze Unglück von Fröschweiler, das schon an dem trüben Himmel daherzog, wahrend Weiß ihnen seine Befürchtungen auseinandersetzte, wie Deutschland vorbereitet, besser geführt, besser bewaffnet sei, von riesiger vaterländischer Begeisterung erhoben, während Frankreich voller Bestürzung, der Unordnung ausgeliefert, zu spät komme, sittlich verderbt dastände und weder Führer noch Mannschaften noch die notwendigen Waffen habe. Und nun verwirklichte sich diese entsetzliche Vorhersage.
Weiß hob seine zitternden Hände. Sein gutes Hundegesicht drückte tiefen Schmerz aus.
»Ach! ich fühle mich gar nicht wie ein Sieger, weil ich recht gehabt habe,« murmelte er. »Ich bin nur ein Dummkopf; aber es war ja so klar für jeden, der nur etwas Sinn und Verstand hat... Aber wenn wir auch geschlagen sind, deshalb können wir doch noch genug von diesen Unglückspreußen totschlagen. Das ist noch ein Trost, und ich glaube auch, daß wir auch diesmal wieder dabei liegenbleiben; aber ich möchte, daß auch ein Haufen Preußen da liegenbliebe, ganze Haufen Preußen, seht ihr! so daß man dahinten die Erde damit bedecken kann.«
Er war aufgestanden und zeigte mit einer Handbewegung über das Maastal. In seinen kurzsichtigen Augen, die ihn verhindert hatten zu dienen, schlug eine helle Flamme empor.
»Gottsdonnerwetter, ja! ich würde fechten, wenn ich frei wäre... Ich weiß nicht, ob das daher kommt, weil sie jetzt Herren in meiner Heimat sind, in dem Elsaß, in dem die Kosaken schon soviel Unheil angerichtet haben; aber ich
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