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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sah seine Frau ihn fest an.
    »Sei ruhig,« sagte er lächelnd, »ich will wirklich nur auf unsere Siebensachen aufpassen. Und ich verspreche dir, ich komme sofort zurück, falls die Stadt angegriffen wird oder irgendwelche Gefahr sich zeigt.«
    »Geh!« sagte sie. »Aber komm wieder, oder ich hole dich.«
    In der Tür umarmte Maurice Henriette zärtlich. Dann gab sie Jean die Hand und hielt die seine ein paar Sekunden mit einem freundschaftlichen Druck fest.
    »Ich vertraue Ihnen meinen Bruder wieder an... Ja, er hat mir viel davon erzählt, wie rührend Sie gegen ihn gewesen sind, und ich habe Sie sehr lieb.«
    Er war so bewegt, daß er sich darauf beschränken mußte, ihr die kleine zierliche, feste Hand zu drücken. Und die Empfindung bei seiner Ankunft kam wieder über ihn, die Henriette mit Haaren wie reifer Hafer, so leicht, so freundlich in ihrer Zurückgezogenheit, daß sie die Luft um sich her wie mit Liebkosungen erfüllte.
    Unten fielen sie nun wieder in das dunkle Sedan des Morgens. Dämmerung erfüllte schon die engen Gassen und ein wüstes Getriebe versperrte die Fußsteige. Die meisten Läden waren geschlossen, die Häuser schienen wie tot, während man sich draußen mordete. Sie hatten indessen den Platz vor dem Stadthause ohne besondere Beschwerden erreicht, als sie Delaherche trafen, der neugierig umherbummelte. Sofort rief er sie an und war scheinbar entzückt, Maurice wiederzusehen; er erzählte ihnen, er hätte gerade Hauptmann Beaudouin nach Floing hinübergebracht, wo das Regiment läge; seinegewohnheitsmäßige Zufriedenheit wuchs noch, als er hörte, daß Weiß in Bazeilles schlafen wolle; denn er selbst hatte sich, wie er eben noch dem Hauptmann erzählt hatte, dahin entschlossen, gleichfalls die Nacht in seiner Färberei zuzubringen, um dort nach dem Rechten zu sehen.
    »Weiß, wir gehen zusammen ... Aber vorher könnten wir noch mal bis zur Unterpräfektur gehen; vielleicht sehen wir den Kaiser.«
    Seit er bei dem Hofe von Baybel beinahe mit ihm gesprochen hatte, beschäftigte er sich nur noch mit Napoleon III.; und so schleppte er schließlich sogar die beiden Soldaten mit. Nur ein paar Gruppen standen flüsternd auf dem Platze vor der Unterpräfektur, aus der von Zeit zu Zeit Offiziere voller Verstörtheit herausstürzten. Ein melancholisches Dunkel nahm den Bäumen schon ihre Färbung, und laut tönte das Rauschen der rechts am Fuße dahinfließenden Maas. In der Menge erzählte man sich, wie man den Kaiser am Abend vorher mit Mühe zu dem Entschluß hätte bringen können, gegen elf Uhr aus Carignan wegzugehen, und daß er sich unbedingt geweigert hätte, bis Mézières weiterzugehen, weil er die Soldaten nicht entmutigen, sondern ihre Gefahren teilen wollte. Andere sagten wieder, er selbst wäre gar nicht mehr da, er wäre geflohen und hätte als Strohmann einen seiner Leutnants dagelassen, der seine Uniform angezogen hatte und ihm so treffend ähnlich sähe, daß das Heer dadurch getäuscht würde. Wieder andere versicherten auf ihr Ehrenwort, sie hätten gesehen, wie der kaiserliche Schatz in den Garten der Unterpräfektur gebracht worden sei, hundert Millionen in Gold, in lauter neuen Zwanzigfrancsstücken. In Wirklichkeit war das nichts anderes als das Gerät für den kaiserlichen Haushalt, der Jagdwagen, die beiden Kutschen,die zwölf Gepäckwagen, deren Durchkommen ja auch die Dörfer Courcelles, le Chêne, Raucourt auf den Kopf gestellt hatte und die in der Einbildung immer größer wurden; sie wuchsen sich zu einem Riesenschwanz aus, der überall im Wege war, die Truppen aufhielt, um nun endlich hier, mit Fluch und Schmach bedeckt, zu scheitern und sich vor den Blicken der Öffentlichkeit hinter den Fliederbüschen des Unterpräfekten zu verstecken.
    Delaherche reckte sich in die Höhe, um die Fenster des Erdgeschosses zu beobachten, und eine alte Frau neben ihm, wohl eine Tagelöhnerin aus der Nachbarschaft, mit schiefen Hüften und krummen, zerarbeiteten Händen, brummte zwischen den Zähnen:
    »Ein Kaiser... ich möchte wohl mal einen sehen... ja, bloß um zu sehen...«
    Plötzlich packte Delaherche Maurice am Arm und stieß einen Ruf aus:
    »Sehen Sie! das ist er... da, sehen Sie, am Fenster links ... Oh, ich irre mich nicht, ich habe ihn gestern so nahe gesehen, ich erkenne ihn sehr gut wieder... Er hat den Vorhang aufgezogen, jawohl, das blasse Gesicht da an der Fensterscheibe.«
    Die alte Frau hatte zugehört und blieb mit offenem Munde stehen. Da wurde wirklich an der

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