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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ist und daß Sie fast zwölf Stunden geschlafen haben?«
    Sieben Uhr, lieber Gott! Das gab eine Bestürzung. Jean war schon angezogen und wollte weglaufen, während Maurice noch im Bette lag und jammerte, er könne kein Glied rühren. Wie sollten sie die Kameraden wiederfinden? War denn die Armee nicht weitergezogen? Und sie waren beide ärgerlich; man hätte sie nicht so lange schlafen lassen sollen. Aber da machte Weiß eine Gebärde der Verzweiflung.
    »Lieber Gott, bei dieser Entwicklung der Dinge hätten Sie auch ruhig liegenbleiben können.«
    Er war seit dem Morgen durch Sedan und die Umgebung gerannt. Er war gerade nach Hause gekommen, ganz trostlos über die Untätigkeit der Truppen an diesem so kostbaren 31., den man in unerklärlichem Warten verlor. Eine einzige Erklärung war nur möglich, die hochgradige Abmattung der Truppen, die unbedingt Ruhe verlangten; und er konnte dennoch nicht begreifen, warum der Rückzug nicht nach ein paar notwendigen Stunden Schlaf weiter fortgesetzt worden sei.
    »Ich erhebe ja gar nicht den Anspruch,« fuhr er fort, »mich darauf zu verstehen, aber ich fühle, jawohl! ich fühle, daß das Heer in Sedan sehr schlecht untergebracht ist ... Das zwölfte Korps steht in Bazeilles, wo sie heute morgen auch schon ein wenig gefochten haben; das erste liegt an der Givonne entlang, von dem Dorfe Moncelle bis an das Garenne-Gehölz; und das siebente lagert auf der Hochebene von Floing, währenddas halbvernichtete fünfte sich unter den Wällen nach der Seite des Schlosses zusammendrängt ... Und gerade das macht mich bange, wenn ich sie so in Erwartung der Preußen um die Stadt herum aufgestellt sehe. Oh! ich wäre unbedingt sofort auf Mézières weitergezogen. Ich kenne das Gelände, es gibt gar keine andere Rückzugslinie, wenn man sich nicht nach Belgien hineinjagen lassen will ... Und dann! Kommen Sie mal, ich will Ihnen mal was zeigen ...«
    Er hatte Jean bei der Hand genommen und ihn zum Fenster geführt.
    »Sehen Sie mal da hinten, oben auf den Hügeln.«
    Über die Wälle und die benachbarten Häuser hinweg ging das Fenster nach dem Süden von Sedan über das Maastal hinaus. Da wälzte sich der Fluß durch die weiten Wiesen, dort links lag Remilly, Pont-Maugis und Wadelincourt gerade gegenüber, rechts davon Frénois; und die Hügel breiteten ihre grünen Abhänge aus, zuerst der Liry, dann die Marfée und die Croix-Piau mit ihren mächtigen Wäldern. In dem schwindenden Tageslicht lag eine tiefe Süße über dem weiten Horizont, der so durchsichtig wie Kristall war.
    »Sehen Sie nicht da hinten an den Gipfeln entlang diese sich bewegenden schwarzen Striche, diese kribbelnden Ameisenhaufen?«
    Jean strengte seine Augen an, während Maurice im Bette kniete und den Hals vorbeugte.
    »Ah ja!« riefen sie beide zugleich. »Da ist so 'n Strich, und da noch einer, und noch einer, und noch einer! Überall sind sie.«
    »Na ja!« sagte Weiß, »das sind die Preußen ... Seit heute morgen beobachte ich sie, und es werden immer, immer mehr. Das kann ich Ihnen sagen, wenn unsere Soldaten aufdie da warten, die haben es eilig genug, heranzukommen! ... Und alle Leute in der Stadt haben es ebensogut gesehen wie ich; nur die Generale haben die Augen zu. Gerade eben sprach ich mit einem General, der zuckte die Achseln und sagte, der Marschall Mac Mahon wäre fest überzeugt, er hätte kaum sechzigtausend Mann vor sich. Wollte Gott, er wäre gut unterrichtet!... Aber sehen Sie doch mal, die ganze Erde ist voll von ihnen, sie kommen, sie kommen, die schwarzen Ameisen!«
    Maurice warf sich in diesem Augenblick auf sein Bett zurück und brach in lautes Weinen aus. Henriette kam mit ihrem Lächeln wie am Abend vorher herein. Voller Unruhe trat sie lebhaft auf ihn zu.
    »Was ist denn?«
    Aber er stieß sie mit einer Bewegung zurück.
    »Nein, laß mich, geh weg von mir, ich habe dir immer nur Kummer gemacht. Wenn ich bedenke, daß du dir keine Kleider gönntest und ich dafür studierte! Ach, jawohl! von meiner Bildung habe ich viel gehabt! Und dann, unsern Namen hätte ich beinahe in Unehre gebracht; ich wüßte gar nicht, wo ich jetzt wäre, wenn du dir nicht alle vier Gliedmaßen blutig gearbeitet hättest, um meine Dummheiten wieder gutzumachen.«
    Da kam ihr Lächeln wieder.
    »Du wachst wirklich nicht gerade vergnügt auf, mein armes Kerlchen ... Das ist doch alles längst vorbei und vergessen! Tust du denn jetzt nicht deine Pflicht als guter Franzose? Ich versichere dich, seit du dich gestellt

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