Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
kann nicht an sie denken oder sie mir bei uns vorstellen, in unfern Häusern, ohne daß mich sofort die wütende Lust packt, ein Dutzend von ihnen abzuschlachten... Ach, wenn man mich doch nicht zurückgewiesen hätte, wenn ich doch Soldat wäre!«
    Und dann nach einem kurzen Stillschweigen:
    »Aber wer weiß übrigens?...«
    Das war die Hoffnung, das Bedürfnis, immer noch an die Möglichkeit eines Sieges zu glauben, auch bei denen, die die Augen am weitesten geöffnet hielten. Maurice schämte sich bereits seiner Tränen, als er ihn hörte, und klammerte sich jetzt gleichfalls an diesen Traum. War nicht am Abend vorher tatsächlich das Gerücht umgelaufen, Vazaine stände bei Verdun? Das Glück schuldete Frankreich, das es solange mit Ruhm bedeckt hatte, ein Wunder. Henriette war stumm sogleichwieder verschwunden; und als sie wieder hereintrat, wunderte sie sich gar nicht, ihren Bruder angezogen und marschbereit dastehen zu sehen. Sie wollte sie aber erst unbedingt essen sehen, Jean und ihn. Sie mußten sich an den Tisch setzen, aber die Bissen erstickten sie, sie fühlten einen Brechreiz, so betäubt waren sie noch von ihrem tiefen Schlafe. Als vorsichtiger Mann schnitt Jean ein Brot entzwei und steckte die eine Hälfte in Maurices, die andere in seinen eigenen Tornister. Der Tag neigte sich, sie mußten gehen. Henriette, die vor dem großen Fenster stehengeblieben war, um in der Ferne auf der Marfée die preußischen Truppen, die schwarzen Ameisen, ohne Unterlaß heranziehen und sich allmählich auf dem dunkler werdenden Grunde verlieren zu sehen, brach jetzt unwillkürlich in Klagen aus.
    »Ach, der Krieg, der gräßliche Krieg!«
    Nun scherzte Maurice über sie und holte sich Genugtuung.
    »Was denn? Schwesterlein, du verlangst, daß wir fechten, und dann verwünschst du den Krieg!«
    Sie wandte sich um und antwortete ihm ins Gesicht mit ihrer gewöhnlichen Tapferkeit:
    »Gewiß, ich verabscheue ihn, ich finde ihn unrecht und gräßlich, ... Vielleicht kommt das einfach, weil ich eine Frau bin. Solche Schlachtereien stoßen mich ab. Warum kann man sich nicht auseinandersetzen, sich verständigen?«
    Jean, der tapfere Kerl, stimmte ihr mit einem Kopfnicken zu. Nichts schien ihm einfacher, ihm, dem Ungebildeten, als daß alle miteinander übereinstimmen würden, wenn sie nur erst mal ihre guten Gründe ausgetauscht hätten. Maurice aber, aufs neue von seiner Wissenschaft gepackt, dachte wie notwendig der Krieg sei, wie der Krieg das Leben selbst, das Gesetz der Welt darstelle. Hat nicht erst der Mensch mit seinemMitleid die Gedanken an Gerechtigkeit und Frieden eingeführt, während die empfindungslose Natur nichts als ein fortgesetztes Schlachtfeld darstellt?
    »Sich verständigen!« schrie er. »Ja, in Jahrhunderten. Wenn alle Völker nur noch ein Volk bilden, dann könnte man im Ernst an das Heraufkommen dieses goldenen Zeitalters denken; würde aber nicht wieder das Ende des Krieges das Ende der Menschheit selbst bedeuten? ... Ich war eben ein Schwachkopf; wir müssen kämpfen, da das ein Gesetz ist.«
    Nun lachte er seinerseits und wiederholte Weiß' Worte.
    »Aber wer weiß übrigens... ?«
    Von neuem fesselte ihn seine lebhafte Einbildungskraft, ein wahrer Zwang, nichts sehen zu wollen bei der krankhaften Übertreibungssucht seiner nervösen Reizbarkeit.
    »Bei der Gelegenheit,« fing er wieder an, »was macht denn Vetter Günther?«
    »Vetter Günther sieht doch in der preußischen Garde,« sagte Henriette. »Ist die Garde auch hier in der Nähe?«
    Weiß gab durch eine Bewegung zu erkennen, daß er das nicht wisse, und die beiden Soldaten machten es ebenso, denn sie konnten keine Antwort geben, da selbst die Generale nicht wußten, was für feindliche Truppen sie vor sich hatten.
    »Wir wollen gehen, ich will euch führen,« erklärte er. »Ich habe gerade eben erfahren, wo die 106er liegen.«
    Und dann sagte er zu seiner Frau, er werde nicht nach Hause kommen, da er in Vazeilles schlafen wolle. Er hatte dort gerade ein kleines Haus gekauft und es eben fertig eingerichtet, um bis zum Eintritt der kalten Zeit dort wohnen zu können. Es lag neben einer Herrn Delaherche gehörenden Färberei. Er empfand Unruhe wegen der Vorräte, die er bereits in den Keller gebracht hatte, ein Faß Wein, zwei SäckeKartoffeln, und war sicher, daß die Plünderer, wie er sagte, das Haus berauben würden, wenn es leer bliebe, während er es zweifellos retten könne, wenn er diese Nacht selbst dabliebe. Während er sprach,

Weitere Kostenlose Bücher