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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Fensterscheibe ein leichenhaftes Gesicht mit erloschenen Augen und verwesten Zügen sichtbar; der Schnurrbart war in dieser letzten Todesangst gebleicht. Die Alte war ganz baff; sie drehte sich sofort um und ging weg mit einer äußerst mißachtenden Bewegung.
    »Das ein Kaiser! Ein Biest ist das.«
    Da stand eine Zuave, einer der versprengten Soldaten, die keine Eile hatten, wieder zu ihrer Truppe zu kommen. Erschwang seinen Chassepot unter drohenden Flüchen; und zu einem Kameraden sagte er:
    »Wart', ich jage ihm eine Kugel durch den Schädel!«
    Delaherche fuhr zornig dazwischen. Der Kaiser war aber schon verschwunden. Das laute Rauschen der Maas tönte fort, eine Klage voll unendlicher Traurigkeit schien durch die wachsende Dunkelheit daherzuschweben. In der Ferne wurden hier und da andere Rufe laut. War es das: Vorwärts! vorwärts! der schreckliche Befehl aus Paris, der den Mann dort Schritt für Schritt weiterstieß, der das Spottbild seiner kaiserlichen Umgebung auf dem Wege zur Niederlage mit sich schleppte, der nun in das gräßliche Unglück hineingedrängt wurde, das er kommen sah und an dem er seinen Anteil suchte? Wieviel tapfere Männer mußten um seines Fehlers willen sterben, wie mußte sich in diesem Kranken, in diesem gefühlvollen, schweigsamen Träumer sein ganzes Wesen bei der traurigen Erwartung seines Schicksals umkehren!
    Weiß und Delaherche begleiteten die beiden Soldaten bis auf die Hochebene von Floing.
    »Lebewohl!« sagte Maurice, als er seinen Schwager umarmte.
    »Nein, zum Teufel, auf Wiedersehen!« rief der Fabrikant lustig. Jean fand mit seiner Witterung sofort die 106er, deren Zelte sich am Abhange der Hochebene hinter dem Friedhof ausdehnten. Es war fast Nacht geworden; aber man erkannte noch an den großen Massen die schwarzen Gruppen der Dächer in der Stadt, dann weiterhin Balan und Bazeilles in den Wiesen, die sich bis an die Hügelreihe von Remilly bis Frenois dahinzogen; zur Linken dehnte sich dagegen die dunkle Masse des Garennegehölzes aus und rechts unten leuchtetedas breite, blasse Band der Maas. Maurice sah einen Augenblick, wie dieser weite Rundblick sich in der Finsternis auflöste.
    »Ah, da ist ja der Korporal!« sagte Chouteau. »Kommt er wohl von der Verteilung?«
    Es wurde laut. Den ganzen Tag hatten sich die Mannschaften, die einzeln, andere wieder in kleinen Gruppen in einer solchen Verwirrung zusammengefunden, daß schließlich auch die Führer darauf verzichteten, Erklärungen zu verlangen. Sie drückten ein Auge zu und waren froh, wenigstens die wieder zu bekommen, die gutwillig zurückkamen.
    Hauptmann Beaudouin war übrigens eben erst gekommen, und Leutnant Rochas hatte erst gegen zwei Uhr die aufgelöste Kompanie, die nur noch zwei Drittel ihrer Stärke hatte, heraufgeführt. Jetzt war sie wieder beinahe vollzählig. Einige Soldaten waren betrunken, andere hatten noch nichts gegessen, da sie sich nicht einmal ein Stückchen Brot hatten verschaffen können; und eine Verteilung hatte wieder mal nicht stattgefunden. Loubets Erfindergeist war indessen darauf gekommen, Kohl zu kochen, den er in einem benachbarten Garten ausgerissen hatte; da er aber weder Salz noch Fett hatte, schrien ihre Magen doch noch vor Hunger.
    »Sehen Sie mal, Herr Korporal, was Sie für ein Schlaukopf sind!« wiederholte Chouteau spöttisch. »Oh, es ist ja nicht meinetwegen, ich habe ja mit Loubet sehr fein bei einer Dame gegessen.«
    Angsterfüllte Gesichter wandten sich Jean zu; die Korporalschaft hatte auf ihn gewartet, vor allen Lapoulle und Pache, die kein Glück gehabt und nichts bekommen hatten und nun auf ihn zählten, der Mehl aus den Steinen ziehen konnte, wie sie sagten. Jean überkam Mitleid, und außerdem quälte ihn sein Gewissen, daß er seine Leute verlassen hatte,und er teilte ihnen die Hälfte des Brotes aus seinem Tornister zu.
    »Herrgott nochmal! Herrgott nochmal!« wiederholte Lapoulle, als er es herunterschlang, denn andere Worte fand er nicht vor befriedigtem Grunzen, während Pache ganz leise ein Pater und ein Ave hersagte, um sicher zu sein, daß der Himmel ihm auch morgen wieder seine Nahrung schicken würde.
    Der Hornist Gaude hatte soeben mit aller Kraft zum Appell geblasen. Aber Zapfenstreich gab es nicht; das Lager verfiel sofort in tiefes Schweigen. Da war es, daß der Sergeant Sapin, der eben die Vollzähligkeit seines Halbzuges festgestellt hatte, mit seinem winzigen, kränklichen Gesicht und der spitzen Nase in sanftem Tone sagte:
    »Morgen abend

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