Der Zusammenbruch
er schon ganz gedankenlos ausgestreckt hatte, um sich auf einen Stuhl zu stützen. Dann beantwortete er kurz die Fragen des Fabrikanten, der sich als guter Kerl und Soldatenfreund gab. Er erklärte mit einem Wort seine Kameradschaft mit Maurice und warum er ihn suche.
»Das ist ein Korporal aus meiner Kompanie«, sagte schließlich der Hauptmann, um die Sache kurz zu machen.
Er fragte ihn nun auch, weil er gern wissen wollte, was aus dem Regiment geworden sei. Und als Jean erzählte, er habe den Oberst an der Spitze des Restes seiner Leute durch die Stadt reiten sehen, um im Norden Lager zu beziehen, da fing Gilberte wie alle niedlichen Frauen wieder an, ohne jedes Nachdenken loszuplappern.
»Ach, mein Oheim, warum ist denn der nicht zum Frühstück zu uns gekommen? Wir hätten ihm doch ein Zimmer eingerichtet ... Sollen wir ihn holen lassen?«
Frau Delaherche aber gab durch eine Handbewegung ihre unbedingte Machtvollkommenheit zu erkennen. In ihren Adern rollte das alte Bürgerblut der Grenzstädte mit all den männlichen Tugenden einer starren Heimatsliebe. So brach sie ihr strenges Schweigen jetzt nur zu der Äußerung:
»Lassen Sie doch Herrn von Vineuil, der tut nur seine Pflicht.«
Das rief Unbehagen hervor. Delaherche brachte den Hauptmann in sein Zimmer, wo er ihn persönlich auf dem Sofa unterbringen wollte; und Gilberte ging mit der Lehre, die sie erhalten hatte, von dannen wie ein Vogel, der trotz des Gewitters vergnügt die Flügel schüttelt; das Dienstmädchen aber, dem Jean anvertraut wurde, führte diesen über den Fabrikhof durch ein Gewirr von Gängen und Treppen.
Die Weiß wohnten in der Rue des Voyards; das Haus, das Delaherche gehörte, stand jedoch mit dem Prachtbau in der Rue Maqua in Verbindung. Die Rue des Voyards war eine der allerschmalsten in Sedan, ein enges, feuchtes, durch die benachbarten Wälle, an denen es sich entlangzog, verdunkeltes Gäßchen. Die Dächer der hohen Vorderseiten berührten sich beinahe; die schwarzen Hausflure sahen wieKellermündungen aus, vor allem an der Ecke, wo sich die hohe Mauer der Schule aufbaute. Weiß hatte hier freie Wohnung und Heizung; er bewohnte den ganzen dritten Stock und war infolgedessen ganz zufrieden; er hatte seine Diensträume in der Nähe und konnte in Pantoffeln dorthin gelangen, ohne über die Straße gehen zu müssen. Er war ein glücklicher Mann seit der Hochzeit mit Henriette, nach der er sich lange hatte sehnen müssen, seit er sie in le Chêne bei ihrem Vater, dem Lehrer, kennengelernt hatte, wo sie schon mit sechs Jahren den Haushalt führte und ihre tote Mutter vertrat; er war in die Raffinerie Générale fast als Hausknecht eingetreten, bildete sich aber weiter und schwang sich in der Buchführung durch harte Arbeit empor. Um seinen Traum zu verwirklichen, mußte aber zuerst noch der Vater sterben und der Bruder, eben dieser Maurice, in Paris grobe Dummheiten machen; als dessen Zwillingsschwester fühlte sie sich ein wenig als seine Dienerin und hatte sich gänzlich aufgeopfert, um aus ihm einen Herrn zu machen. Sie war als Aschenbrödel im Hause erzogen und konnte, wenn es hoch kam, lesen und schreiben, und hatte nun gerade das Haus und Einrichtung verkauft, ohne doch den vor den Torheiten des jungen Mannes sich auftuenden Schlund füllen zu können, als der gute Weiß herbeigelaufen kam und ihr seine ganze Habe zugleich mit seinen gesunden Armen und seinem Herzen anbot; bis zu Tränen gerührt von seiner Zuneigung war sie darauf eingegangen, ihn zu heiraten, voll verständiger Überlegung und zarter Hochschätzung, wenn auch nicht gerade verliebter Leidenschaft. Jetzt lachte ihnen das Glück, denn Delaherche sprach davon, Weiß zum Teilhaber des Hauses zu machen. Wenn nun nur erst Kinder da sein würden, wäre ihr Glück vollkommen.
»Vorsicht!« sagte das Dienstmädchen zu Jean, »die Treppe ist steil!«
Tatsächlich wuchs die Dunkelheit, je höher sie kamen, bis eine plötzlich geöffnete Tür die Stufen mit einer Flut von Licht überströmte. Und er hörte, wie eine sanfte Stimme sagte:
»Er ist's!«
»Frau Weiß,« rief das Dienstmädchen, »hier ist ein Soldat, der nach Ihnen fragt.«
Er lachte leise vor sich hin vor Befriedigung, und die sanfte Stimme antwortete:
»Gut! gut! Ich weiß, wer es ist.«
Dann stand der Korporal verlegen und atemlos auf der Schwelle.
»Kommen Sie herein, Herr Jean ... Maurice ist schon zwei Stunden hier, und wir warten auf Sie, oh! mit solcher Ungeduld.«
Bei dem bleichen Licht,
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