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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sah er, daß es vom Flusse aufsteigende Morgennebel waren, die den Horizont bedeckten. Dort hinten, von der andern Seite des Flusses, hinter diesem Vorhang her, donnerte das Geschütz noch stärker. Mit einem Male antwortete eine französische Batterie aus so großer Nähe und mit derartigem Getöse, daß die Mauern des kleinen Hauses erzitterten.
    Das Haus der Weiß lag ungefähr in der Mitte von Bazeilles, etwas rechts, ehe man an den Kirchenplatz kommt. Die Hauptseite lag etwas zurück und ging mit ihrem einzigen, von einem Boden überragten Stockwerk nach der Straßehinaus; hinter ihm aber lag ein ziemlich großer Garten, der nach dem Flusse hin abfiel und von dem aus man einen weiten Rundblick über die Hügel von Remilly bis Frenois besaß. Weiß hatte sich in der Hitze als neuer Hauseigentümer erst gegen zwei Uhr morgens hingelegt, nachdem er alle Vorräte im Keller versteckt und alles mit vieler Überlegung so gut wie möglich gegen Kugeln geschützt hatte, indem er die Fenster mit Matratzen verstellte. Der Zorn stieg in ihm empor, wenn er daran dachte, die Preußen könnten dies Haus plündern, nach dem er sich so lange gesehnt hatte, das so schwer erworben war und an dem er erst so wenig Freude gehabt hatte.
    Aber von der Straße her rief eine Stimme nach ihm: »He, Weiß, hören Sie wohl?«
    Er entdeckte unten Delaherche, der auch in seiner Färberei hatte schlafen wollen, einem großen, unmittelbar an sein Haus anstoßenden Backsteinbau. Alle Arbeiter waren übrigens geflohen und hatten durch die Wälder belgisches Gebiet gewonnen; als Wächterin war nur die Schließerin dageblieben, die Witwe eines Maurers, Françoise Quittard mit Namen. Auch sie wäre wohl zitternd und bestürzt mit den andern geflohen, wäre nicht ihr Junge, der kleine August, ein zehnjähriges Kind, so schwer an Typhus erkrankt, daß sie ihn nicht wegbringen konnte.
    »Hören Sie,« wiederholte Delaherche, »es geht offenbar los ... Das Vernünftigste ist wohl, wir gehen sofort nach Sedan zurück.«
    Weiß hatte seiner Frau fest versprochen, beim ersten Anzeichen ernster Gefahr Bazeilles zu verlassen, und er war auch bestimmt entschlossen, sein Wort zu halten. Aber das war ja erst ein Artilleriekampf auf große Entfernung, bei diesem Morgennebel etwas auf gut Glück.
    »Ach zum Teufel,« antwortete er, »lassen Sie uns doch warten, das eilt ja nicht.«
    Delaherches Neugier war übrigens so lebhaft erregt, daß sie ihn ganz tapfer machte. Er hatte kein Auge geschlossen, solchen Anteil nahm er an den Vorbereitungen zur Verteidigung. General Lebrun, der das zwölfte Korps befehligte, hatte die Nachricht bekommen, er würde in aller Frühe angegriffen werden, und hatte die Nacht dazu benutzt, sich in Bazeilles zu verschanzen, da er vom Kaiser den Befehl erhalten hatte, es um jeden Preis zu halten. Barrikaden versperrten Wege und Straßen; Besatzungen von ein paar Mann hielten alle Häuser; jedes Gäßchen und jeder Garten war in eine Festung umgewandelt. Und seit drei Uhr standen die ohne jedes Geräusch geweckten Truppen in ihren Gefechtsstellungen, die Chassepots waren frisch eingefettet und die Patronentaschen mit den vorschriftsmäßigen achtzig Patronen gefüllt. Der erste Kanonenschuß des Feindes hatte denn auch niemand überrascht, und die weiter rückwärts zwischen Balan und Bazeilles aufgestellten französischen Batterien hatten sofort geantwortet, um zu zeigen, daß sie da waren, denn sie schossen bei dem Nebel lediglich nach dem Gefühl.
    »Wissen Sie,« fing Delaherche wieder an, »die Färberei wird kräftig verteidigt werden ... Ich habe einen ganzen Zug drin. Sehen Sie sich das mal an.«
    Tatsächlich hatte man einige vierzig Marineinfanteristen dort untergebracht, an deren Spitze ein Leutnant stand, ein großer, blonder, noch recht junger Bursche von tatkräftigem, hartnäckigem Aussehen. Seine Leute hatten schon von dem Gebäude Besitz ergriffen; einige waren dabei, Schießscharten in die Fensterläden im ersten Stock nach der Straße hinaus anzubringen; andere schlugen unten Schartenin die Hofmauer, die die Wiesen nach hinten hinaus beherrschte.
    Mitten im Hofe fanden Delaherche und Weiß hier den Leutnant, der zusah und den Morgennebel in der Ferne beobachtete.
    »Der verfluchte Nebel!« murmelte er. »Wir können uns doch nicht nach dem Gefühl schlagen.«
    Nach einer Pause sagte er dann ohne jeden augenscheinlichen Übergang:
    »Was für einen Tag haben wir eigentlich heute?
    »Donnerstag«, antwortete

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