Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Weiß.
    »Richtig, Donnerstag ... Hol' mich der Teufel, so lebt man ohne jede Ahnung, als wäre die ganze Welt gar nicht mehr da!«
    In diesem Augenblick tönte in das ununterbrochen fortdauernde Grollen der Geschütze lebhaftes Gewehrfeuer hinein, unmittelbar am Rande der Wiesen in ungefähr fünf- oder sechshundert Meter Entfernung. Und da war es wie auf dem Theater: die Sonne ging auf, die Maasnebel flogen wie in feinen Tüllfetzen davon, der blaue Himmel erschien und breitete sich in fleckenloser Klarheit aus. Es war der ausgesucht schöne Morgen eines wunderbaren Sommertages.
    »Ach!« rief Delaherche, »sie kommen über die Eisenbahnbrücke. Sehen Sie, wie sie am Bahndamm entlang vorwärtszukommen suchen ... Das ist aber doch zu dumm, daß die Brücke nicht gesprengt worden ist!«
    Der Leutnant gab seinen Zorn durch eine stumme Bewegung zu erkennen. Die Minenschächte waren schon geladen, erzählte er; nachdem man aber gestern vier Stunden um den Wiederbesitz der Brücke gefochten hatte, war vergessen worden, sie anzuzünden.
    »Das ist so unser Glück«, sagte er in seiner kurzen Art.
    Weiß sah hinüber und versuchte sich klar zu werden. Die Franzosen hielten in Bazeilles eine sehr feste Stellung besetzt. Das auf beiden Seiten der Straße nach Douzy erbaute Dorf beherrschte die Ebene; um zu ihm zu gelangen, gab es, wenn man sich links am Schlosse vorbei hielt, nur diese eine Straße, während eine andere, die rechts nach der Eisenbahnbrücke führte, sich am Kirchenplatze gabelte. Die Deutschen mußten also über Wiesen und Acker, deren weite Flächen, ohne irgendwelchen Schutz zu bieten, sich an der Maas und der Eisenbahnlinie entlangzogen. Bei ihrer wohlbekannten, gewohnheitsmäßigen Klugheit war es daher wenig wahrscheinlich, daß der vorauszusehende Angriff, sich auf dieser Seite vollziehen werde. In immer tieferen Massen entwickelten sie sich trotz des Gemetzels, das die am Eingang von Bazeilles aufgestellten Mitrailleusen in ihren Reihen anrichteten, auf die Eisenbahnbrücke zu; die hinüber waren, schwärmten sofort in Schützenlinien zwischen den wenigen Weiden aus, zogen sich zu Abteilungen wieder zusammen und gingen vor. Dorther kam das zunehmende Gewehrfeuer.
    »Aha!« bemerkte Weiß, »das sind Bayern. Ich erkenne ganz deutlich ihre Raupenhelme.«
    Er glaubte aber auch zu bemerken, daß weitere hinter der Eisenbahnlinie halb verborgene Gruppen sich gegen ihre Rechte hinzogen und einige entfernt stehende Bäume zu gewinnen suchten, um sich von dort aus durch eine schräg gerichtete Bewegung wieder gegen Bazeilles zu wenden. Gelang es ihnen, sich derart in den Schutz des Parkes von Montivilliers zu bringen, dann konnte der Ort genommen werden. Das fuhr ihm rasch und ohne bestimmte Form anzunehmen durch den Sinn. Es verwischte sichaber, als nun der von vorn kommende Angriff kräftiger wurde.
    Er hatte sich lebhaft nach den Höhen von Floing umgedreht, die man sich im Norden über der Stadt erheben sah. Von dorther hatte gerade eine Batterie ihr Feuer eröffnet, der Pulverqualm stieg in den klaren Sonnenschein, während jeder Knall ganz deutlich herübertönte. Es mochte fünf Uhr sein.
    »Na ja!« murmelte er, »der Tanz wird allgemein.«
    Der Leutnant der Marineinfanterie, der ebenfalls dort hinübersah, machte eine höchst bestimmte Handbewegung, während er sagte:
    »Der Schlüsselpunkt ist Bazeilles. Hier muß sich das Schicksal der Schlacht entscheiden.«
    »Glauben Sie?« rief Weiß.
    »Ganz zweifellos. Der Marschall glaubt das auch ganz sicher. Er kam gestern abend noch und befahl uns, uns eher bis auf den letzten Mann totschlagen zu lassen, als die Stadt besetzen zu lassen.«
    Weiß nickte mit dem Kopfe und ließ seinen Blick rundum schweifen; dann sagte er mit stockender Stimme wie zu sich selbst:
    »Jawohl! nein, gar nicht jawohl! hier nicht ... Ich habe Angst vor was anderm, ja! ich mag es gar nicht mal recht sagen ...«
    Und dann schwieg er. Er öffnete nur seine Arme weit wie die Backen eines Schraubstockes; und indem er sich gegen Norden wandte, brachte er seine Hände wieder zusammen, als ob die Backen des Schraubstockes sich plötzlich schlössen.
    Seit gestern war diese Befürchtung in ihm emporgestiegen, da er die Umgebung kannte und sich über die Bewegungender beiden Heere klar geworden war. Und auch jetzt wieder, wo die weite Ebene sich in strahlendem Sonnenschein ausbreitete, richteten sich seine Blicke auf die Hügel am linken Flußufer, über die einen Tag und eine Nacht lang

Weitere Kostenlose Bücher