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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Bayern Boden gewannen, Delaherche zu folgen. Sowie er aber in der Straße war, wollte er erst noch sein Haus doppelt abschließen; und er hatte seinen Teilhaber schon eingeholt, als ein neues Schauspiel sie beide festhielt.
    Am Ende der Straße, ungefähr dreihundert Meter von ihnen, wurde der Kirchenplatz in diesem Augenblick von einer starken bayerischen Abteilung angegriffen, die aus dem Wege von Douzy hervorbrach. Das mit der Verteidigung des Platzes betraute Marineinfanterieregiment schien einen Augenblick sein Feuer zu verlangsamen, wie um sie vorwärtskommen zu lassen. Als sie dann ihm unmittelbar gegenüber in dichten Massen herankamen, führte es mit einem Male eine ungewöhnliche und unvorgesehene Bewegung aus: die Mannschaften drückten sich auf beiden Seiten der Straße an die Häuser, viele warfen sich auch auf den Boden; und durch den so plötzlich entstandenen Zwischenraum spien am andern Ende in Batterien aufgestellte Mitrailleusen ihren Kugelhagel. Die feindliche Abteilung war von ihm wie weggefegt. Die Mannschaften waren mit einem Satze wieder auf den Beinen und gingen mit dem Bajonett auf die verstreuten Bayern los, die sie über Kopf hinauswarfen. Zweimal wiederholte sich dieser Vorgang mit dem gleichen Erfolge.In einem kleinen Hause an der Straßenecke waren drei Frauen zurückgeblieben; mit vergnügten Gesichtern lachten sie wie bei einem Schauspiel und klatschten von einem der Fenster aus Beifall.
    »Ach verflucht!« sagte Weiß mit einem Male. »Ich habe vergessen, die Kellertür zuzumachen und den Schlüssel mitzunehmen ... Warten Sie, das dauert nur eine Minute.«
    Dieser erste Angriff schien abgeschlagen, und Delaherche, den die Neugier wieder packte, empfand weniger Eile. Er stand vor seiner Färberei und plauderte mit der Schließerin, die einen Augenblick auf die Schwelle des von ihr bewohnten Zimmers im Erdgeschoß getreten war.
    »Meine arme Françoise, Sie sollten mit uns kommen. Eine Frau mitten unter diesen Greueln, das ist doch schrecklich!«
    Zitternd hob sie die Arme.
    »Ach, Herr! wenn mein kleiner August nicht so krank wäre, wäre ich ja ganz sicher ausgerissen ... Kommen Sie doch mal herein, Herr, Sie sollen ihn mal sehen.«
    Er ging nicht hinein, sondern streckte nur den Kopf vor und nickte, als er den Jungen mit fieberglühendem Gesicht in einem schönen weißen Bett liegen sah, von wo aus er seine Mutter starr mit brennenden Augen ansah.
    »Ja natürlich!« fing er wieder an, »aber warum bringen Sie ihn nicht weg? Ich werde Sie schon in Sedan unterbringen ... Wickeln Sie ihn in eine warme Decke und kommen Sie mit uns.«
    »Ach nein, Herr! das ist nicht möglich. Der Doktor hat mir gesagt, ich würde ihn umbringen ... Wenn sein armer Vater doch noch lebte! Aber wir beiden sind ganz allein, wir müssen einer für den andern leben ... Und die Preußen da werdendoch einer alleinstehenden Frau mit einem kranken Kinde nichts zuleide tun.«
    In diesem Augenblicke kam Weiß zurück und war sehr befriedigt darüber, wie er alles bei sich verrammelt hatte.
    »Wenn sie da hereinkommen wollen, müssen sie erst alles zerschlagen ... Nun vorwärts! und das wird gar nicht mal sehr angenehm sein, lassen Sie uns an den Häusern entlanggehen, wenn wir nichts abkriegen wollen.«
    Der Feind mußte wohl tatsächlich einen neuen Angriff vorbereiten, denn das Gewehrfeuer verdoppelte sich und das Sausen der Granaten hörte gar nicht auf. Zwei waren schon in etwa hundert Metern von ihnen auf die Straße gefallen; eine andere grub sich in die weiche Erde eines Gartens neben ihnen ein, ohne zu platzen.
    »Ach warten Sie mal, Françoise,« begann er wieder, »ich möchte nur Ihrem kleinen August einen Kuß geben ... Aber heute geht's ihm ja gar nicht so schlecht, noch ein paar Tage so, und er ist außer Gefahr ... Behalten Sie nur guten Mut, vor allem aber gehen Sie schnell wieder hinein und stecken Sie nicht die Nase heraus.«
    Endlich gingen die beiden Männer.
    »Auf Wiedersehen, Françoise.«
    »Auf Wiedersehen, meine Herren.«
    In derselben Sekunde gab es einen fürchterlichen Krach. Eine Granate hatte erst den Schornstein eines Nachbarhauses von Weiß abgeschlagen und war dann auf den Fußsteig gefallen, wo sie mit einem derartigen Knall barst, daß alle Fensterscheiben der Nachbarschaft zersprangen. Zunächst verhinderte dicker Staub, ein schwerer Rauch jede Sicht. Dann kam die aufgerissene Hauswand zum Vorschein; und dort lag Françoise tot über die Schwelle geworfen mit

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