Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
des Detektivs an. Sanders beauftragt den Pathologen des St.-Clare-Hospitals, Dr. Sim, die Leiche zu obduzieren. Da möglicherweise ein unnatürlicher Tod vorliege, legt er Dr. Sim nahe, einen weiteren Pathologen hinzuzuziehen. Sanders denkt dabei an Dr. Oram, den Pathologen des Ellis-Krankenhauses in Schenectady. Im Unterschied zu vielen Klinikpathologen, die meist nur natürliche Todesfälle oder tödliche Unfälle medizinisch zu beurteilen haben, hat Dr. Oram auch spezielle gerichtsmedizinische Erfahrung. Und darauf kommt es Staatsanwalt Sanders im Hinblick auf einen möglichen Gerichtsprozeß an. Dr. Oram hatte schon Marybeths Adoptivsohn Michael obduziert, eine gewaltsame Erstickung vermutet, sie aber nicht beweisen können. Er wußte zwar, wie leicht ein Erwachsener ein Kleinkind ersticken kann, aber auch er war davor zurückgeschreckt, einer so liebevollen Mutter einen Mord zuzutrauen.
Deshalb geht er gemeinsam mit Dr. Sim äußerst gewissenhaft an die Obduktion – in der Hoffnung, Tami Lynnes Tod werde sich aus natürlichen Ursachen erklären lassen, Auch er hält, wie Dr. Mele, einen genetischen Schaden für möglich.
Bei der äußeren Besichtigung der Kinderleiche fällt der entzündete und vereiterte Zustand der After- und Genitalgegend auf. Die Obduzenten vermuten eine dadurch verursachte Blutvergiftung, finden dann aber keine Anzeichen dafür. Sie unternehmen eine Reihe von Tests, untersuchen Organschnitte, prüfen die Möglichkeit von Infektionen und Vergiftungen. Verschiedene Organproben lassen sie in Speziallabors prüfen.
Schließlich müssen die Pathologen dem Staatsanwalt mitteilen: »Wir haben nach allem gesucht und nichts gefunden, bis auf die Asphyxie.« Asphyxie ist eine zentrale oder periphere Atemlähmung, die zu Erstickung führt. Sie ist vieldeutig, weil sie verschiedene Ursachen haben kann: gewaltsame oder unfallbedingte mechanische Verletzung der Atemwege, mangelhafte Lungenentwicklung, Unreife des Atemzentrums.
»Tritt sie auch bei plötzlichem Kindstod auf?« fragt Sanders.
»Auch dann.«
Doch das negative Ergebnis kann Marybeth nicht mehr retten. Im Gegenteil. Das offenbar gewordene Gesetz der Serie – neun tote Kinder – spornt nun Ärzte und Behörden zu intensivsten Überlegungen an. Während sich Marybeth auf den Umzug vorbereitet, setzt eine hektische Ermittlung ein.
Staatsanwalt Sanders schickt einen Detektiv und eine Sozialarbeiterin zu den Tinnings, um sie über den Tod Tami Lynnes zu befragen. Marybeth, die wohl schon geglaubt hatte, auch diesen Mord unangefochten hinter sich gebracht zu haben, verliert rasch die Fassung, beginnt zu weinen und fragt immer wieder, ob sie verhaftet werde.
Aber so weit ist es noch nicht.
Der mehrdeutige Obduktionsbefund läßt Dr. Oram keine Ruhe. Einerseits ist er froh, keinen Beweis für einen gewaltsamen Tod gefunden zu haben. Das hätte sein freundliches Weltbild von Mutterliebe und Familienglück zerstört. Andererseits zwingt ihn sein ärztliches Gewissen, eine mit der Diagnose Asphyxie durchaus vereinbare gewaltsame Erstickung zweifelsfrei auszuschließen. Er befragt Polizisten, Ärzte, Schwestern, Sozialarbeiter über das familiäre Umfeld der Tinnings. Er überprüft alle Krankenblätter und Autopsieberichte über alle toten Kinder. Nur der erste Todesfall Weihnachten 1971, der Tod der eine Woche alten Jennifer, scheint nach der Stärke der Gehirnabszesse tatsächlich ein natürlicher Tod gewesen zu sein. Bereits wenige Wochen danach starben zwei weitere Kinder. . .
Je weiter sich Dr. Oram mit dem Fall beschäftigt, desto mehr gelangt er zur Überzeugung, einer Mordserie auf der Spur zu sein. Warum hatte Tami Lynnes Bett im entgegengesetzten Ende der Wohnung gestanden? Das erschwerte ihre Betreuung nachts. War das Kind der Mutter lästig gewesen? Immer auch war es Marybeth einzig und allein gewesen, die jedes der Kinder tot aufgefunden hatte. Man kannte nur ihre Darstellung der Vorgänge. Aber das sind noch keine Beweise für ein Verbrechen. Dr. Oram weiß, daß er seinen Verdacht nur medizinisch beweisen kann. Er muß die Möglichkeit des plötzlichen Kindstodes ausschließen. Aber er weiß zu wenig über den Ablauf dieser Erkrankung. Deshalb ruft er Prof. Beckwith an, einen früheren Kollegen, der als Kapazität in der Erforschung des plötzlichen Kindstodes gilt. Oram schildert ihm den Fall in allen Einzelheiten.
Prof. Beckwith zieht seine Schlußfolgerungen: »Ich habe 1200 Fälle plötzlichen Kindstodes untersucht. Nur
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