Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
ihre Kinder immer sehr viel geweint hätten, so daß sie allmählich ge glaubt habe, eine schlechte Mutter zu sein.
Inzwischen ist auch Joe Tinning in Albany eingetroffen. Bevor er zu seiner Frau darf, wird auch er befragt. Joe ist wortkarg und antwortet nur das Notwendigste. Er behauptet, er habe sich über den serienweisen Tod seiner Kinder keine Gedanken gemacht. So bleibt die erste Vernehmung bei beiden unergiebig. Bis Polizeidetektiv Bill Barnes das weitere Verhör übernimmt.
Barnes ist ein erfahrener Vernehmer, der schon viele Mordfälle aufgeklärt hat. Er besitzt psychologisches Gespür, weiß sich auf die Persönlichkeit des Verdächtigen einzustimmen, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn überraschend schnell zu einem Geständnis zu bringen. In diesem Fall kommt ihm zusätzlich zustatten, daß er seit seiner Kindheit Marybeth kennt. Sie sind im gleichen Dorf aufgewachsen. Barnes ist von Marybeths Täterschaft überzeugt, empfindet aber auch Mitgefühl für diese gestörte und verstörte Frau.
Barnes kennt auch Joe. Er weiß, daß Marybeth vor mehr als zehn Jahren versucht hat, ihren Mann zu vergiften. Aber Barnes ist sich auch sicher, daß Joe – der den Mordversuch damals, um Marybeth zu schützen, als Selbstmord ausgegeben hatte – seine Frau auch diesmal schützen würde. Deshalb vernimmt Barnes zuerst Joe. Er macht ihn mit den medizinischen Beweisen vertraut, die auf acht Morde hindeuten. Und er fragt Joe: »Angenommen, Marybeth hätte wirklich etwas mit dem Tod eurer Kinder zu tun – würdest du ihr zur Seite stehen? Deine Antwort wird für sie sehr wichtig sein.«
Joe gibt zu, daß er doch manchmal daran gezweifelt habe, alle seine Kinder seien an einer Krankheit gestorben.
Das wollte Barnes hören. Er vermutet, daß dieser Verdacht, Marybeth könnte einige der Kinder getötet haben, bei Joe Schuldgefühle erzeugt hat. Denn Joe hat ihre Verbrechen geahnt, geduldet, gedeckt. Er hat nie eine Frage an sie gestellt, er hat einfach geschwiegen.
Und Joe antwortet: »Was sie auch getan hat, ich halte zu ihr.«
Barnes bringt Joe zu seiner Frau. Er läßt Joe sei n Bekenntnis zur Loyalität gegenüber Marybeth wiederholen. Und er hat richtig gerechnet. Beruhigt, daß wenigstens ein Mensch, ihr Mann, zu ihr halten wird, gesteht sie schließlich, Tami Lynne getötet zu haben. Später gibt sie auch zu, daß sie Timothy und Nathan erstickt hat, verschließt sich dann aber wie in plötzlichem Erschrecken vor sich selbst und beharrt darauf, alle anderen Kinder seien an einer Krankheit gestorben.
Barnes fragt Marybeth, warum sie Tami Lynne getötet habe.
»Weil sie immerfort weinte und ich nichts recht machen konnte. Tami Lynne weinte immer, und da dachte ich, ich mache etwas falsch.«
Auf gleiche Weise erklärt sie auch die Tötung von Timothy und Nathan. Sie hätten geweint oder komische Laute von sich gegeben, das hätte sie nicht e rtragen. Sie betont, Joe habe mit dem Tod der Kinder nichts zu tun.
Barnes fragt sich, warum Marybeth nur die Ermordung vor, drei Kindern zugegeben hat. Er erklärt es sich aus dem Schamgefühl der Mutter. Sie weiß, daß Joe die Kinder liebte. Hätte sie gestanden, außer Jennifer auch noch die anderen fünf Kinder umgebracht zu haben, hätte er ihr – so fürchtete sie wohl – vielleicht doch nicht verziehen und sich von ihr abgewandt.
Marybeth unterschreibt ihr Geständnis. Sie wird wegen Mordes an Tami Lynne verhaftet und ins Gefängnis von Schenectady gebracht.
Joe kehrt heim. Es hat an diesem Tag kräftig geschneit, er will noch den Schnee am Hauseingang räumen.
Im nachfolgenden Mordprozeß beschränkt sich die Anklage auf die Ermordung von Tami Lynne. Die anderen Morde, die bis zu zehn Jahren zurückliegen, sind zu schwer beweisbar. Auch die Exhumierung mehrerer Kindesleichen erbringt keine weiteren Beweise.
Wie zu erwarten war, erregt der Prozeß starkes öffentliches Interesse. Eine Mutter, die acht ihrer Kinder getötet haben soll, gibt dem Serienmord eine ungewöhnlich sensationelle Note. Marybeth wirkt zerknirscht, aber sie genießt es auch, über Nacht berühmt geworden zu sein.
Einen besonderen Akzent erhält der Prozeß noch, als Marybeth zeitweilig ihr erstes Mordgeständnis widerruft.
Für die Zuschauer ist die Verhandlung spannend und langweilig zugleich. Spannend, wenn nach den Motiven der Täterin gesucht wird, und langweilig während der stundenlangen Auseinandersetzungen zwischen den Gutachtern der Anklage und der Verteidigung. Manche der
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