Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
innerhalb von zehn Jahren der achte Todesfall eines Kindes in der Familie. Michael sei das einzige adoptierte Kind. Die Autopsien der anderen Kinder hätten bei einigen eine bekannte, bei den übrigen eine unbekannte Todesursache ergeben. Bei Michaels Obduktion habe sich eine akute Pneumonie gezeigt. »Die Familiengeschichte ist bizarr«, schreibt Dr. Sullivan am Schluß seines Berichtes. Zweifellos hat Dr. Sullivan einen Verdacht gegen Marybeth, aber er geht ihm nicht weiter nach.
Und niemandem dämmert die Erkenntnis, daß Michaels Tod Dr. Meles Hypothese von einem Todes-Gen widerlegt hat. Als adoptiertes Kind konnte er ein solches Gen gar nicht besitzen.
Im Gegensatz zu den Ärzten gibt sich die Bevölkerung mit der Erklärung eines natürlichen Todes nicht zufrieden.
Sie rebelliert, schreckt Polizei, Staatsanwaltschaft und Sozialamt mit empörten Anrufen auf. Auch einige Ärzte sprechen hinter vorgehaltener Hand von Mord. Die Pathologen der beiden Kliniken in Schenectady, Dr. Sim und Dr. Oram, werden beauftragt, gemeinsam eine neue Obduktion vorzunehmen. Im Unterschied zum Leichenschauarzt Dr. Sullivan stellen sie fest, daß die Lungenentzündung viel zu schwach entwickelt war, um zum Tode zu führen. Die Obduzenten vermuten, das Kind könne erstickt worden sein, was jedoch nicht zu beweisen wäre.
Marybeth bleibt der Verdacht gegen sie nicht verborgen. Sie drängt ihren Mann, aus Schenectady fortzuziehen. Sie verlassen bald Schenectady und übersiedeln zu Joes Eltern in die Kleinstadt Duanesburg.
Nun kann Marybeth aufatmen. Hier in Duanesburg stellt niemand unangenehme Fragen, keiner blickt sie mißtrauisch an. Schenectady mit seinen acht toten Kindern verblaßt in der Erinnerung. Wenn Marybeth zurückdenkt, verwechselt sie die Namen der Toten bereits miteinander.
Sie übernimmt Gelegenheitsarbeit, als Kellnerin, als Packerin. Schließlich verschafft ihr Joes Vater eine neue Stellung: als Helferin bei der medizinischen Ambulanz.
Bald inszeniert Marybeth wieder einmal eine sonderbare Geschichte. Zu ihrem Ambulanzteam gehört der Pfarrer Waldo, der als Medizinisch-Technischer Assistent der Ambulanz seine Freizeit opfert. Eines Tages erzählt ihm Marybeth, jemand habe sie am Telefon beschuldigt, ihre Kinder ermordet zu haben. Waldo kennt Marybeths Lebensgeschichte. Er vermutet Verfolgungswahn oder eine andere seelische Störung. »Mal absolut kühl, mal reif für die Klapsmühle«, so sieht er Marybeth. Da er auch eine psychiatrische Ausbildung hat, fühlt er sich verpflichtet,
sie therapeutisch zu betreuen. Er führt Gespräche mit ihr, über ihre Ehe, ihre Kinder, ihren verstorbenen Vater. Und muß bald erkennen, daß sich Marybeth wie eine Ertrinkende an ihn klammert und ihn zu jeder Tagesund Nachtzeit mit ihren Problemen zu beschäftigen sucht. Schließlich erfährt er, daß Marybeth sich brüstet, sie habe ein intimes Verhältnis mit ihm. Er kündigt ihr jede weitere psychotherapeutische Hilfe auf. »Ihr Blick wurde vor Zorn pechschwarz. Auf ihrem Gesicht zeigte sich solcher Haß, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe.« Marybeth droht ihm Rache an.
Marybeth ist zweiundvierzig Jahre, als sie mit Joe nach Schenectady zurückkehrt. Wieder bringt sie hier ein Kind zur Welt, ein Mädchen, es wird Tami Lynne genannt.
Kurz vor Weihnachten kauft Marybeth zusammen mit ihrer Freundin Cynthia Geschenke für das vier Monate alte Baby ein: ein Stofftier mit Spieluhr, eine Rassel, ein GlöckchenMobile für den Kinderwagen und eine dunkle Decke. Gegen Abend kehrt sie mit Cynthia heim.
Marybeth bereitet Babynahrung für den Säugling, füttert ihn, legt ihn trocken. Die Windel, die sie abnimmt, ist völlig durchnäßt. Po, Damm und Scheide des Kindes sind chronisch entzündet. Der Urin brennt in den Wunden, Tami Lynne weint vor Schmerzen. Marybeth ist voll hektischer Unruhe. Verwandte wollen am Weihnachtsabend kommen, und sie fürchtet, sie werde die Arbeit nicht schaffen: einen Weihnachtsbaum beschaffen und schmücken, die Wohnung säubern, kochen und backen, Geschenke verpacken und das Kind versorgen. Außerdem steht nach Weihnachten noch ein Umzug bevor.
Marybeth nimmt das Baby aus dem Körbchen und setzt es auf ihren Schoß. Sie ist allein, Joe ist zum Kegeln gegangen. Marybeth beschäftigt sich eine Weile mit dem Baby, sucht es abzulenken, doch es fängt wieder an zu weinen. Sie bringt das Kind zu Bett. Das Kinderbett steht in einem kleinen Alkoven.
Als das Kind endlich eingeschlafen ist, will auch
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