Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
Er muß die Spuren seiner Tat sorgfältig verwischen. Sonst wird diese höchste Lust nur die Ouvertüre für seinen Tod.
Er steht auf und reinigt das Zimmer von Blut und Erbrochenem. Notdürftig kleidet er die Kinderleiche an und schiebt sie sich unter den Arm. Er verläßt das Haus und geht durch finstere einsame Gassen bis an den Fluß. Der führt Hochwasser. Tschikatilo wirft die Tote hinein. . .
Seit Tschikatilos erstem Mord sind zwölf Jahre vergangen. Tschikatilo ist älter geworden, aber der grauhaarige Mann in Anzug und Schlips, mit Mantel und Hut, eine übergroße Brille vor seinen müden Augen, eine Aktentasche in der Hand, gleicht noch immer wie damals einem wohlsituierten gebildeten Menschen. Aus dem Schuldienst ist er längst wegen sittlicher Verfehlungen ausgeschieden, in stillschweigendem Einverständnis mit dem Direktor. Seine Akte ist sauber geblieben. Jetzt arbeitet er als Techniker in einem Produktionsbetrieb in Nowotscherkassk und ist für das Ersatzteillager verantwortlich. Als Einkäufer von Ersatzteilen reist er durch die ganze Union, von der Ukraine bis nach Moskau.
Auch heute, am 6. November 1990, ist er mit der Eisenbahn unterwegs, wenn auch nicht weit von seinem Wohnort entfernt. Das Abteil ist überfüllt. Der Zug rollt träge durch ein ausgedehntes Waldgebiet. Nieselregen trübt die Fensterscheiben. Aber Tschikatilo hat keinen Blick für die Landschaft. Er plaudert mit einer jungen Frau, die neben ihm sitzt. Sweta Korostik, so hat er von ihr erfahren, ist zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr halblanges blondiertes Haar wirkt gepflegt und fällt in einer Locke über die linke Stirnseite. Die Augenbrauen sind etwas zu stark nachgezeichnet, der weiche volle Mund ist eine Spur zu grell geschminkt. Interessiert blickt Sweta den gutgekleideten Tschikatilo an, der ihr gerade von einer Dienstreise nach Usbekistan erzählt.
Tschikatilo hat Sweta erst vor einer Stunde auf dem Bahnhof von Nowotscherkassk kennengelernt. Morgen ist Feiertag, den will Sweta nutz en, um Verwandte zu besuchen. Da sie sich in der Gegend nicht auskennt, ist sie unsicher, ob sie am Zielbahnhof noch den Anschluß-Autobus zum Dorf ihrer Verwandten erreichen wird. Tschikatilo hat ihr seine Hilfe angeboten. Überhaupt kein Problem, Sweta, hat er sie beruhigt: »Ich fahre auch in diese Richtung. Wir steigen am Bahnhof Baumschule in der Nähe von Donleschos aus. Auf einen Bus bist du nicht angewiesen, wir gehen zu Fuß, und in einer halben Stunde bist du bei deinen Leuten. Ich kenne einen Abkürzungsweg durch den Wald.«
Und Sweta hat dieses Angebot dankbar angenommen. Tschikatilo bricht seine Erzählung ab und steht auf.
»Wir müssen jetzt aussteigen, Sweta.«
Mit Tschikatilo und Sweta verlassen nur wenige Leute den Zug, eine Frau mit zwei Kindern und einige Männer mit Körben.
»Pilzsammler«, erklärt Tschikatilo, »die letzte Gelegenheit vor dem Winter.«
Baumschule ist ein einsamer kleiner Bahnhof am Rande der Wälder. Regenpfützen bedecken den Bahnsteig. Der Nieselregen wird dichter. Sweta fröstelt und schlägt den Kragen ihres blauen Nylonmantels hoch. Am Ende des Bahnsteigs steht ein Polizist, wer weiß, wie lange schon, er stapft frierend hin und her. Tschikatilo wendet den Kopf ab, als er am Milizionär vorübergeht. Nur nicht auffallen. Bisher hat hier niemals ein Polizist gestanden. Möglicherweise gilt die lässige Aufmerksamkeit mir, mahnt sich Tschikatilo zur Vorsicht. Aber der Milizionär beachtet ihn nicht und blickt dem in der Ferne verschwindenden Zug nach.
Tschikatilo hängt sich seine Aktentasche am Riemen über die Schulter und reicht Sweta den Arm. »Komm, Sweta, in einer halben Stunde sind wir da.«
Hinter dem Bahnhof führt ein Trampelpfad in den Wald. Die Pilzsucher haben eine andere Richtung genommen, der Mann und das Mädchen gehen allein weiter. In der Stille sind nur die Stimmen der Tannenmeisen zu hören und die Tropfen, die von den Bäumen fallen. Tschikatilo ist plötzlich verstummt, die Magie des Waldes läßt ihn wohlig erschauern. Vor einer Woche hat er hier den Sechzehnjährigen umgebracht, den Witja. Und vor zwei Wochen Wadim, der war im gleichen Alter wie Witja. Er schielt hinüber ins Unterholz. Dort muß es gewesen sein, ja dort, unter den drei zusammengewachsenen Birken. Sie haben bestimmt schon die Leichen gefunden. Deshalb bewachen sie jetzt den Bahnhof Baumschule. Tschikatilo lacht in sich hinein. Seit zwölf Jahren jagt mich die Miliz. Sie jagt einen Schatten und kommt immer
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