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Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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warum er festgenommen worden ist. Sie tasten sich auf Umwegen an seinen letzten Mord, an die Tötung Swetas am 6. November heran.
    Tschikatilo gibt sein verstocktes Schweigen allmählich auf, bleibt aber wortkarg. Für den 6. November hat er kein Alibi. Am Bahnhof Baumschule sei er nicht gewesen. Wie sein Name ins Notizbuch des Polizisten am Bahnhof Baumschule gekommen sei, wisse er nicht. Vorerst bricht Kostojew die Vernehmung ab, er will noch weitere Beweise sammeln.
    Denn der sicherste Beweis fehlt: Tschikatilo hat eine andere Blutgruppe als der Mörder. Deswegen mußte Tschikatilo bereits 1984 freigelassen werden.
    Kostojew fragt sich, ob damals bei der Blutgruppenbestimmung ein Fehler unterlaufen sein könnte. Er läßt durch prominente Spezialisten einen neuen Test vornehmen. Das Ergebnis macht alle Hoffnungen auf einen Irrtum zunichte. Tschikatilo hat die Blutgruppe A, der Mörder jedoch AB. Kostojew fürchtet schon, Tschikatilo könnte auch diesmal davonkommen und weiter morden.
    Da erinnert sich ein Gerichtsmediziner jüngster japanischer Blutgruppenforschungen. Japanische Serologen hatten 1988 die bis dahin gültige Erkenntnis umgestoßen, daß die Blutgruppe aus dem Sperma ebenso sicher festgestellt werden könne wie aus dem Blut selbst. Sie hatten entdeckt, daß bei einigen Männern das Sperma einer anderen Blutgruppe angehört als das Blut. Allerdings trifft das durchschnittlich nur auf einen einzigen Mann unter Hunderttausenden zu.
    Nun wird Tschikatilos Sperma auf seine Blutgruppeneigenschaft untersucht. Es hat die Blutgruppe AB!
    Kostojew glaubt, nun den wichtigsten Beweis für Tschikatilos Täterschaft zu besitzen. Aber bald merkt er, wie sehr er dessen Widerstandskraft unterschätzt hat. Während er Tschikatilo stundenlang mit Fragen eindeckt, verharrt dieser weiterhin in Schweigen. Kostojew macht Tschikatilo bewußt, daß er seine Taten in allen Einzelheiten kenne. Schließlich erklärt sich Tschikatilo bereit, eine Aussage niederzuschreiben.
    Darin sagt er u. a.: »Ich möchte in bezug auf meine Gefühle ehrlich sein. Ich befinde mich im Zustand tiefster Depression und gestehe, daß ich gewisse Taten begangen habe und daß meine sexuellen Empfindungen gestört sind. Lange schon habe ich psychiatrische Hilfe gesucht. Doch die Behandlung führte zu keinem Ergebnis. Ich habe eine Frau, zwei Kinder, ich leide unter Impotenz. Die Menschen lachten mich aus. Mir war nicht bewußt, daß ich häufig meine Genitalien berührte, was man mir erst später sagte. Ich fühle mich gedemütigt. Bei der Arbeit und bei anderen Gelegenheiten verlachen mich die Leute. Seit meiner Kindheit fühle ich mich benachteiligt. Jeder verhöhnte mich. . . Meine Probleme sind sämtlich psychischer Natur. Durch perverse sexuelle Handlungen erfuhr ich ein Gefühl der Schrankenlosigkeit. Ich konnte meine Handlungen nicht kontrollieren. Seit meiner Kindheit habe ich mich als Mann und als Mensch minderwertig gefühlt. Was ich tat, geschah nicht um des sexuellen Vergnügens willen, es brachte mir vielmehr über einen längeren Zeitraum hinweg etwas Seelenfrieden. . . «
    Kostojew hat einen ersten Erfolg errungen. Tschikatilo gibt zu, Verbrechen begangen zu haben, vermeidet es aber, sie im einzelnen zu benennen. Er rechtfertigt sich damit, seelisch krank zu sein, weil sein Leben bisher eine einzige Demütigung gewesen sei.
    In den folgenden Gesprächen entblättert sich allmählich dieses absurde Leben. Kostojew beginnt zu begreifen, daß nicht nur emotionale Kälte es Tschikatilo erschwert, über sich zu sprechen, sondern auch eine unvermutete Scham, seine entsetzlichen Taten genauer zu schildern. Das veranlaßt Tschikatilo aber auch immer wieder, alle Schuld von sich zu schieben und sie »dem Leben« anzulasten.
    Als Tschikatilo 1936 geboren wurde, war die schlimmste Leidenszeit für die ukrainische Bevölkerung schon vorüber. Hunderttausende waren durch die verfehlte Landwirtschaftspolitik Stalins verhungert. Rückfall in archaische Zeiten war die Folge. Menschen wurden getötet, ihr Fleisch verzehrt. Auch Tschikatilos älterer Bruder Stepan wurde ein Opfer des Kannibalismus. Tschikatilo wuchs allein auf. Die Erzählungen der Mutter, sein Bruder sei entführt und aufgefressen worden, erfüllten ihn mit mythischem Grauen.
    Andrej Tschikatilo war ein schwächliches und allzu friedfertiges Kind, dazu durch beträchtliche Sehschwäche verunsichert. Eine Brille besaß er nicht, er konnte nicht erkennen, was der Lehrer an die Tafel

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