Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
längst wieder fälligen Schlachtfestes.
An einem Novembermorgen steht Aileen an der Kreuzung des Highway 42 und der Bundesstraße 75 – nahe Wildwood, wo sie ihr letztes Opfer, den Ermittler Humphreys, erwartet hatte. Sie hält Ausschau nach einem Wagen mit nur einer Person.
Sie braucht heute nicht lange zu warten. Ein Pontiac hält an. Sie hat Glück, der Fahrer ist allein, ein älterer weißer Mann.
Aileen lächelt. Der Mann lächelt. Geübten Blicks erkennt sie die Begierde in seinen Augen. Um so besser, denkt sie, das macht noch mehr Spaß. . .
Am 19. November wird die nackte Leiche von Gino Antonio auf einem Waldweg gefunden. Zahlreiche Schüsse aus einem 22er hatten ihn getötet. In seiner Hand befindet sich ein Kondom. Vermutlich war er kurz vor dem beabsichtigten Geschlechtsverkehr erschossen worden. Der Verdacht, die Täterin sei eine Frau, erhärtet sich.
Der Journalist Michael Reynolds verfolgt seit Monaten in der Lokalpresse des MarionDistrikts die Meldungen über Mordfälle. Bald, so berichtete er später, wurde ihm klar, daß die Ähnlichkeit mehrerer Morde auf einen Serientäter hinwies.
Aber die Polizei schweigt. Reynolds glaubt, es sei an der Zeit, die Öffentlichkeit zu informieren und zu warnen. Er sucht Captain Binegar auf und sagt ihm auf den Kopf zu, daß die Polizei die Tätigkeit eines Serienmörders verheimliche. Binegar leugnet es nicht. Zusammen mit Binegar entwickelt Reynolds verschiedene Hypothesen über den Täter. Schließlich ist Binegar bereit, über die Medien die Öffentlichkeit von der Existenz eines Serienmörders zu unterrichten. In diesem Zusammenhang werden bundesweit die Phantombilder der beiden Frauen verbreitet, die den Wagen von Siems verlassen hatten.
»Kurz nachdem diese Meldung. . . per Fernschreiber in alle Welt hinausgegangen war«, berichtete Reynolds, »brandete eine Flut von Artikeln über Florida und die ganze Nation hinweg, in der nicht nur die Zeichnungen der beiden Frauen abgedruckt waren, sondern auch wilde Spekulationen über ein Team von Serienmördern, das die Straßen unsicher machte.«
Kurz nach Weihnachten erfährt die Polizei durch Hinweise aus der Bevölkerung die Namen der Gesuchten: Lee Blahovec und Tyria Moore sowie Tys Adresse in Ohio. Eine anonyme Anruferin bezeichnet die beiden als brutale männerhassende Lesben. Die zentrale Untersuchung der Fingerabdrücke, die in den Wagen der Ermordeten gefunden worden waren, ergibt eine Identität mit den Abdrücken einer gewissen Lori Grody. Diese war 1986 wegen unerlaubten Besitzes eines 22er Revolvers verhaftet worden. Weitere Ermittlungen erbringen die Gewißheit, Lory Grody und Lee Blahovec sind die Decknamen von Aileen Wuornos, geboren 1956. Die Wuornos ist vielfach vorbestraft, u. a. wegen Verkehrsgefährdung unter Alkoholeinfluß, unerlaubten Gebrauchs einer Schußwaffe, Fahrens ohne Führerschein, Scheckbetrugs, bewaffneten Raubüberfalls, Körperverletzung.
Das alte Jahr ist zu Ende gegangen, 1991 hat begonnen. Aileen ist tief deprimiert. Mehr als zwei Monate ist es her, daß Ty sie verlassen hat. Ty hatte ihr versprochen, nach zwei Wochen zurückzukehren. Aileen wartete vergeblich. Sie haust jetzt in Ridgewood, einem kleinen Ort in einem riesigen Jagdgebiet Floridas.
An diesem Abend – es ist der 9. Januar – hockt Aileen in der Letzten Zuflucht. Sie versucht, mit Bier ihre trübe Stimmung aufzuhellen. Dafür ist diese üble Kneipe allerdings ein ungeeigneter Ort. Der schmutzige Zementfußboden. Die verstaubten Pin-up-Girls an den Wänden. Das grölende Geschwätz betrunkener Ganoven. Die Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern abgestumpfter Jugendlicher. Wer sich hier aufhält, ist auf der tiefsten Stufe menschlicher Existenz angelangt.
Aileens müde Augen leuchten auf. Bücket und Drums haben das Lokal betreten. Sie hatte die zwei bärtigen verwahrlosten Kerle gestern abend hier kennengelernt, mit ihnen gezecht und ihnen von ihrem abenteuerlichen Leben erzählt. Vom reichen Mann, der sie verlassen hat, von ihrem Selbstmordversuch, auch die Narbe auf dem Bauch hatte sie ihnen gezeigt und geprahlt, sie habe eine ganz schön schlimme Vergangenheit. Sie mußte den zwei Kerlen mächtig imponiert haben, denn sie hatten sich für heute abend mit ihr verabredet.
Da sind sie also, die beiden, setzen sich an ihren Tisch wie alte Bekannte und spendieren Bier und Schnaps.
»Wo wohnst du eigentlich, Lee?« fragt Drums. Aileen wohnt nirgends. Sie hat kein Geld mehr, nicht einmal für ein billiges
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