Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
bezeichnet. Besonders bemerkenswert ist, daß Sadisten in ihrem gewöhnlichen Leben nur selten brutale, rohe oder gewalttätige Naturen sind. Es handelt sich fast stets um Menschen, die sanft, weich und gutherzig erscheinen.«
Mit dem Aufruf an die Bevölkerung, die Polizei bei der Suche nach dem Täter zu unterstützen, beginnt, wie W. Gay weiter berichtet, eine Hochflut kriminalistischer Ermittlung. Zwölftausend Menschen geraten unter Tatverdacht, müssen aktenmäßig erfaßt und überprüft werden. Zweihundert Personen bezichtigen sich selbst der Täterschaft. Dazu gehört ein Arbeitsloser namens Stausberg, der einige Morde in Einzelheiten schildert. Man weist ihm nach, daß er diese aus Presseberichten kennt. Junge Männer ziehen Frauenkleidung an, um sich als Lockvogel zu betätigen.
Die Panik unter der Bevölkerung, die Hektik in der Ermittlung, die sensationellen Berichte der Presse, die erfolglose Suche nach ihm versetzen Kürten in Hochstimmung. Sogar wenn er einen Zeitungsartikel über den Serienmörder liest, bekommt er einen Orgasmus. Manchmal überfällt ihn aber auch ein Gefühl von Vergeblichkeit.
Er erfüllt seinen eigenen hohen Anspruch nicht, Gottes Werkzeug zu sein. Er hat sich vorgenommen, täglich einen Menschen zu töten, und das schafft er einfach nicht, es übersteigt seine Möglichkeiten. Und noch immer hat er keine Brücke gesprengt, noch immer nicht die Bevölkerung ganz Düsseldorfs vergiftet. Er ist ein Stümper. Sein Ruhm bleibt hinter seinen Ambitionen zurück.
Ein Mord pro Monat, was ist das schon. In einer dieser deprimierenden Winternächte liegt er schlaflos im Bett. Einen Paukenschlag, denkt er, ich brauche einen gewaltigen Paukenschlag, der die Sinfonie meines Ruhmes einleitet. Ganz Düsseldorf, ganz Deutschland spricht nur noch vom Serienmörder. Wer diesen Serienmörder zur Strecke bringt, der wäre der große Volksheld, sein Name verbreitete sich über den Erdball. Das wäre der grandiose Höhepunkt des Ruhmes: ich zeige Peter Kürten an, als den Serienmörder von Düsseldorf!
Und vor Kürtens innerem Blick spielt sich eine wahrhaft dramatische Oper ab. . .
Kürten steht am offenen Fenster seiner Wohnung und blickt hinunter auf einen riesigen Platz. Es ist Nacht. Er lehnt sich zum Fenster hinaus. Das Haus ist blutrot beleuchtet. Die Häuser der Umgebung sind beflaggt. Über die Straße spannt sich ein Triumphbogen. Von ferne nähert sich Musik. Eine Polizeikapelle. Trommeln, Trompeten, Pauken, die Ouvertüre des Jüngsten Gerichts. Berittene Polizei hat den Platz abgesperrt. Hinter den Polizeikordons drängen sich Zehntausende Schaulustiger. Pechfackeln flackern gespenstisch. Nun ist die Kapelle schon ganz nahe. Eine Schar von Ehrengästen folgt ihr. An der Spitze der Oberbürgermeister Dr. Lehr und Polizeipräsident Langels, hinter ihnen hohe Beamte von Staat, Gericht und Polizei. In ihrer Mitte, gefesselt: der Düsseldorfer Mörder, genannt Kopfjäger. Die Schar nimmt im Zentrum des Platzes Aufstellung. Hier steht ein Rednerpult. Die Beamten verteilen sich rings um das Podium. Vorgeführt und vor das Podium gestellt der Mörder. Die Menge hinter der Absperrung heult bei seinem Anblick wütend auf und fordert seinen Kopf: die chorische Untermalung. Dann das Solo des Oberbürgermeisters. Er steigt auf die Rednertribüne und gebietet dem Chor zu schweigen. Kürten sieht, wie Dr. Lehr seine Blicke empor zum Fenster auf ihn richtet und auf ihn weist, bevor er zu reden beginnt. Seine Ansprache wird von Lautsprechern übertragen. Dr. Lehr sagt, alle diese Ehrungen gelten ihm, Peter Kürten, dem Befreier der Stadt. Er habe den Mörder gefangen: »Was der gesamten Polizei einschließlich der Berliner Kriminalräte und anderen Schafsköpfen nicht gelungen ist, unser geistesgegenwärtiger und unerschrockener Bürger Herr Peter Kürten hat es geschafft, er ganz allein. Dafür ist ihm die Stadt Düsseldorf zu ewigem Dank verpflichtet und ernennt Herrn Kürten zum Ehrenbürger und Kriminalrat. Auch an eine ansehnliche Belohnung ist gedacht.«
Mit Hochrufen auf den neuen Ehrenbürger – die Menge stimmt jubelnd ein – und einem gewaltigen Finale der Kapelle endet die Kundgebung. . .
Schade, denkt Kürten, und starrt in die Nacht hinaus. Auch so könnte die Krönung meiner Laufbahn aussehen.
Kürtens Mörderlaufbahn endet früher, als er ahnt. Und sie endet nicht in einem dramatischen Furioso, eher wie eine Posse.
In den ersten vier Monaten 1930 überredet Kürten insgesamt
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