Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
sich unter falschem Namen in der Ackerstraße ein. Da er seit Monaten arbeitslos ist – die Weltwirtschaftskrise hat auch ihn getroffen –, verschläft er den Tag und die nächste Nacht.
Am Freitag macht er sich vormittags erneut auf, um in seine Wohnung zu gehen. Er nähert sich dem Haus und sieht zwei Männer aus der Haustür treten. Er hält sie für Kriminalbeamte. Also hat ihn die Polizei im Visier. Trotzdem begibt er sich hinauf in seine Wohnung und ist überrascht, seine Frau vorzufinden. Sie berichtet, heute morgen hätten zwei Kriminalbeamte sie in ihrer Arbeitsstelle aufgesucht und sie aufgefordert, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Die Polizisten hätten die Wohnung durchsucht und ihr mitgeteilt, nach ihrem Mann werde wegen Vergewaltigung gefahndet. Sie hätte den Beamten mitgeteilt, ihr Mann sei ausgezogen, sie wisse nicht, wohin. Da er arbeitslos sei, werde er sich wahrscheinlich heute auf dem Arbeitsamt seine Unterstützung abholen. Die Kriminalisten hätten ihr für Kürten eine Vorladung ins Polizeipräsidium übergeben.
Nachdem Frau Kürten das alles berichtet hat, fordert sie ihren Mann auf, die Wohnung sofort zu verlassen und ihr die Schande einer Verhaftung im Haus zu ersparen. Sie wirft ihm vor, sie erneut belogen zu haben. Er habe von einem Beischlafversuch bei der Butlies gesprochen, tatsächlich sie aber vergewaltigt.
Wütend schreit Kürten: »Ja, ja, ich habe alles gemacht, alles!« Und läuft aus der Wohnung, rennt die Treppen hinab. Seine Frau versucht, ihm zu folgen, erreicht ihn auf der Straße, hält ihn fest: »Was heißt das, du hast alles gemacht? Was alles hast du denn gemacht?«
Kürten blickt sich verstört um, reißt sich los, flüstert: »Ich werde dir alles erklären. Aber nicht hier. Komm zum Hopfgarten, an die Seufzerallee. Paß auf, daß dir niemand folgt.«
Er geht eilig davon. Die Vorstellung, daß die Polizisten am Arbeitsamt vergeblich auf ihn warten werden, bessert seine Stimmung etwas auf.
Auf dem Weg zum Park überkommt ihn aber wieder eine weinerliche Angst. Hat er überhaupt noch eine Chance, seinen Verfolgern zu entrinnen? Einige Tage vielleicht. Bald wird ihn sein Fahndungsbild von allen Mauern und Anschlagsäulen, aus allen Zeitungen anblicken. Jeder Dorfgendarm im entferntesten Winkel des Landes kann ihn aufstöbern. Und noch schlimmer: die Wut der Bevölkerung. Er kennt ja die Zuschriften an die Zeitungen: So einer wie er soll langsam und qualvoll sterben. Und wie soll ich, denkt er, das alles meiner Frau erklären? Wie soll sie damit fertig werden, Trennung für immer! Lebenslang Zuchthaus oder Fallbeil. Sie bleibt allein zurück. Und wird ihre Stellung im Café verlieren, wer beschäftigt schon die Frau eines Massenmörders. Obdachlosigkeit, Armut, Schande. Das hat sie nicht verdient. Sie war immer so gut zu mir. Mein einziger Halt. Und nachsichtig gegenüber meinen Weibergeschichten. Hat immer wieder versucht, einen ordentlichen Menschen aus mir zu machen. Hat mir zuliebe alles getan, war mir immer zu Willen, auch wenn sie oft nicht wollte. Hat sich sogar nackt ausgezogen, wenn ich das forderte. Obwohl sie das als Sünde ansah.
Krampfhaftes Schluchzen würgt sich aus seiner Brust empor. Gottseidank, niemand beachtet ihn.
Kurz vor 12 Uhr erscheint Frau Kürten an der verabredeten Stelle. Sie kommt sofort zur Sache und will wissen, was nun wirklich alles geschehen sei. Kürten sucht seine Erklärung hinauszuschieben. Auch verspürt er Hunger. In einer Gaststätte bestellt er Mittagessen. Seine Frau kann vor Angst kaum etwas zu sich nehmen. Er ißt mit Genuß auch noch ihre Portion. Dann lädt er sie zu einem Spaziergang ein, dabei werde er ihr alles erzählen. Sie überqueren die Oberkasseler Rheinbrücke, Kürten wendet sich dann hinunter zu den Rheinwiesen.
Nun, in der Einsamkeit der Landschaft, allein mit seiner Frau, ist für Kürten unausweichlich die Stunde der Wahrheit gekommen. Zu spät ist es für Lügen und Ausflüchte. In wenigen Tagen werden es die Zeitungen seiner Frau entgegenschreien: Massenmörder Kürten! Das will er ihr ersparen. Sie soll es von ihm selbst erfahren. Niemand wird ihn verstehen, niemand ihm verzeihen, niemand – außer seiner Frau. Hat sie doch einst ebenfalls getötet, damals, als sie ihren Verlobten erschoß. Sie wird ihn verstehen. So wie er sie zur Frau nahm, obwohl sie gemordet hat, wird auch sie nun zu ihm halten.
So also hat sich Kürten entschlossen, alle seine Leichen auf die Schultern seiner Frau
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