Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
und Schuhe und fährt mit der Straßenbahn heim. Kurz nach sechs Uhr morgens ist er zu Hause, schläft eine Stunde und geht dann zur Arbeit.
In den nächsten Wochen wütet Kürten weiter. Vierzehn Tage nach der Ermordung Marias bringt er zwei Mädchen um. Dem sechsjährigen Kind schneidet er die Kehle durch, dem dreizehnjährigen versetzt er tödliche Stiche in den Rücken. Im September wechselt er die Mordwaffe. Nun zertrümmert er seinen nächsten Opfern den Schädel mit einem Hammer.
Zwischen diesen Morden zieht es Kürten immer wieder an Marias Grab. Die bloße Erinnerung an ihre Tötung erregt ihn. Wieder hört er das Rauschen ihres Blutes, schmeckt ihr Blut, sieht die Tote in der Erde.
Morde wechseln mit brutalen Überfällen. Einige Frauen, die Kürten mit dem Hammer schwer verletzt hatte, überleben. Aber jede beschreibt den Täter anders, und immer viel zu jung. Auch die Zeugin, die Kürten mit seinem nächsten Opfer, der fünfjährigen Gertrud Albermann, gesehen hatte, schätzt Kürten auf fünfundzwanzig Jahre.
Gertrud Albermann wird am 8. November an einem Schrebergartengelände tot aufgefunden. Das Kind ist mit 24 Messerstichen getötet und, wie die Verletzungen an den Genitalien zeigen, sexuell mißbraucht worden. Zur gleichen Zeit erhält eine Düsseldorfer Zeitungsredaktion einen Brief. Darin teilt der unbekannte Täter mit, wo er die seit Monaten vermißte Maria Hahn vergraben habe. Nach anfangs vergeblicher Suche wird Marias Leiche gefunden.
Allmählich dämmert es nun auch der Düsseldorfer Polizei, sie müßte nach einem einzigen Täter, einem Serienmörder suchen. Bisher war sie überzeugt, daß es sich um zwei Täter handele – einen, der mit einem Stichwerkzeug, und einen, der mit einem Hammer tötet. Doch die Morde und Überfälle haben einige Merkmale gemeinsam. In dem Dreivierteljahr zwischen Februar und November sind vier Frauen, vier Kinder und ein Mann ermordet und weitere fünf Frauen überfallen, mehrere davon schwer verletzt worden.
Düsseldorf ist von Panik erfaßt. Die Menschen haben Angst. Nachts sind die Straßen leer. Polizeipatrouillen und Bürgerwehr durchstreifen die nächtlichen Straßen bis hinaus in die Vorstadt und in die einsamen Schrebergartenkolonien. Der Serienmörder ist der wahre Herrscher Düsseldorfs und ein Spott für die rat- und machtlose Polizei.
Das Preußische Innenministerium schickt den legendären Kriminalpolizeirat Gennat und Kriminalkommissar Busdorf als Sonderbeauftragte nach Düsseldorf. Sie sollen die Ermittlung vorantreiben.
Doch gegen wen ermitteln? Das mörderische Phantom ist überall und nirgends. Es hat viele Gestalten und Gesichter. Aus den widersprüchlichen Zeugenaussagen entwirft die Polizei ein Täterprofil. »Der Täter«, so heißt es darüber in einem Bericht von Kriminaldirektor W. Gay, »sucht gern seine Opfer unter Hausangestellten. Er ist wie einst Jack the Ripper ein Mörder der armen Leute. . . Er sticht nach Kopf, Hals und Brust. Wie wahnsinnig muß er auf seine Opfer einstechen, die alle mehr als ein Dutzend Stiche aufweisen. Mit blitzartiger Geschwindigkeit. . . hämmert er geradezu auf dem Kopf der Opfer herum.« Weiter heißt es, der Täter morde meist am Wochenende zwischen 19 Uhr und 2 Uhr morgens. Sein Mordgebiet liege am Rande der Großstadt, er besitze genaue Ortskenntnisse, die ihm rasches Untertauchen nach der Tat erleichtern. Er sei ein Sexualtäter und wahrscheinlich Alleingänger. Da er vor seinen Opfern unerwartet rasch erscheine und danach ebenso rasch wieder verschwinde, sei er möglicherweise motorisiert. Daß er an Wochenenden morde, deute auf einen Täter in abhängiger Stellung hin – nach Kleidung und Umgangsformen auf einen Angestellten in gehobener Position. Er bereite seine Verbrechen sorgfältig vor, verwische geschickt seine Spuren und zeige sich insgesamt als hochintelligent.
Das Deutsche Kriminalpolizei-Blatt veröffentlicht am 8. April 1930 dieses Täterprofil in einer Sondernummer. Es weist darauf hin, daß der Täter nicht von heute auf morgen zum Mörder geworden und sicher wegen Grausamkeiten gegen Tiere und Menschen und wegen Sittlichkeitsdelikten vorbestraft sei. Dem Täter komme zugute, daß man sich »wie fast stets in derartigen Fällen von der Persönlichkeit eines Lustmörders grundlegend falsche Vorstellungen macht. Der Täter hat offenbar ein durchaus sympathisches We sen. Die Taten entspringen zum größten Teil der widernatürlichen Geschlechtsneigung, die man mit Sadismus
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