Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
zu lösen. Seine Verbrechen haben weltweit Aufsehen erregt. Entsetzt mußten die Bürger Düsseldorfs erfahren, daß ein bluttrinkender Messerstecher unerkannt mitten unter ihnen gelebt hatte. Und daß die von mörderischen Visionen erfüllte Welt dieses Mannes nicht in exotischer Ferne lag, sondern gleich hinter dem Bretterzaun einer Kirche begann und sich bis in die Parks, in die Vorstädte und zu den idyllischen Rheinwiesen erstreckte. Was an diesem Täter ebenso bestürzte, war seine – wie Gutachter Prof. Berg sagte – biedermännische Maske, sein charmantes Auftreten, sein gepflegtes Aussehen, was alles ihn für seine Opfer vertrauenswürdig, ja für manche Frau sogar anziehend erscheinen ließ.
So wurde immer wieder fassungslos gefragt: Was hat diesen Menschen zu einer solchen Mordmaschine gemacht?
Auch im Fall dieses Serienmörders begegnen die Fragenden demselben unheilvollen Ursachengeflecht, das in seiner Gleichförmigkeit schon einem Klischee ähnelt. Wie ein Sportler, der durch unermüdliche Übung sich allmählich zu Höchstleistungen steigert, erreichte auch Kürten erst in Jahrzehnten den Höhepunkt seiner blutdürstenden Macht.
1883 in Köln-Mülheim als ältestes von insgesamt dreizehn Kindern geboren, wuchs er unter der Willkür eines despotischen und alkoholabhängigen Vaters auf. Kürten war acht, als er seinem Vater zum ersten Mal davonlief und sich mit Handtaschendiebstahl durchschlug. Er war vierzehn, als sein Vater wegen Blutschande mit einer seiner Töchter ins Zuchthaus kam und die Mutter sich von ihm scheiden ließ. Kürten haßte damals den Vater so sehr, daß er Mordpläne gegen ihn schmiedete. Mit sechzehn wurde Kürten zum ersten Mal wegen Unterschlagung straffällig. Weitere Straftaten folgten: Einbruchsdiebstahl, Erpressung, Brandstiftungen. Mit einundzwanzig wurde er wegen schweren Diebstahls und – was im preußischen Rheinland besonders schwer wog – wegen Fahnenflucht zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. 1913, Kürten war jetzt dreißig, ermordete er zum ersten Mal bei einem Einbruch ein zehnjähriges schlafendes Mädchen. Grundlos, aus purem Spaß, schnitt er dem Kind die Kehle durch. Ein Unschuldiger wurde für diesen Mord verurteilt. Kürten erfuhr auf diese Weise, wie schlau er seine Spur verwischt hatte. Im folgenden Jahr brachten ihn weitere schwere Verbrechen wiederum sieben Jahre hinter Gitter. Im Zuchthaus las er sehr viel, Abenteuerromane von Karl May, historische Romane von Gustav Freytag, Kriminalgeschichten und kriminologische Schriften. Nach seiner Entlassung ließ er sich 1921 im thüringischen Altenburg nieder. Er arbeitete in einer Fabrik und schien sich endlich in die bürgerliche Gesellschaft eingefügt zu haben. Er trat dem Reichsbanner, einer vorwiegend sozialdemokratischen Kampfgruppe, bei und heiratete 1923. Seine drei Jahre ältere Frau hatte ein Jahrzehnt zuvor eine Gefängnisstrafe abgesessen. Sie hatte ihren Verlobten erschossen, der sie nach achtjähriger Verlobungszeit verlassen hatte. Kürtens Ehe wurde von Anfang an durch Affären mit anderen Frauen be lastet. Er kam nur durch Würgen und Mißhandlungen seiner Partnerinnen zu sexueller Befriedigung.
1925 übersiedelte Kürten nach Düsseldorf. Hier erwachte erneut der Feuerteufel in ihm. Bis 1929 setzte er insgesamt vierundzwanzig Häuser, Scheunen, Ställe, Wälder in Brand. Im März 1929 begann er zu morden. Bis zum Mai 1930 beging er neun Morde und 27 Mordversuche und gewaltsame Überfälle.
In den Gesprächen mit seinen Vernehmern, besonders aber mit den Psychiatern, ist Kürten meist geständniswillig. Er gesteht Straftaten, die niemals aufgeklärt worden waren. Er sucht seine Verbrechen zu erklären und zeigt dabei erstaunliche intellektuelle Gewandtheit. Er schwelgt geradezu in Details, wenn er über seine Taten berichtet, genießt die Aufmerksamkeit, die er damit erregt, die Berühmtheit eines Massenmörders. Dieser Großmannssucht Kürtens ist es zu verdanken, daß Kürten seine Verbrechen weder verharmlost noch verschleiert, sondern sie in ihrer ganzen Brutalität ausbreitet. Bei seinen Geständnissen kostet er noch einmal die Lust aus, die sie ihm bereitet haben. Er gesteht, selbst jetzt in Untersuchungshaft verschaffe ihm die Erinnerung an die einzelnen Morde noch einen Orgasmus.
Wie die meisten Serienmörder suchte er die Beschädigungen seiner Kindheit und Jugend, die Demütigungen seines Zuchthauslebens durch Feuer, Sadismus und Mord auszugleichen und dabei seine
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