Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
abzuladen. Dicht am Ufer bleibt er plötzlich stehen: »Hier habe ich Ida Reuter erschlagen. Mit dem Hammer. Vor sieben Monaten. Es war ein stiller Septemberabend.«
Seine Frau blickt ihn verständnislos an. »Ida Reuter?« »Und alle anderen. Der Düsseldorfer Mörder – das bin.«
Die Offenbarung bricht zu blitzhaft über die Frau herein, als daß sie sie schon begreifen könnte. Sie kann und will dieses Bekenntnis nicht glauben. Fremdgehen, ein rasches Abenteuer, Nötigung, das alles ist passiert, das hat sie ihm, so schwer es auch fiel, verziehen. Aber Morde?
Wehrlose Frauen? »Und die Kinder«, schreit sie auf, »die Kinder? Auch die Kinder hast du umgebracht?«
»Ja«, nickt Kürten, »auch die vier Kinder.«
»Aber warum, warum?«
»Ich weiß es nicht. Ich mußte es eben tun.« Und er zählt auf, mit bestürzender Genauigkeit: Rosa Ohliger, neun Jahre, mit der Schere erstochen, an der Vincenzkirche. Rudolf Scheer, in Flingern, mit der Schere. Emma Groß, Prostituierte, in der Kurfürstenstraße. Und immer mehr Leichen zieht Kürten aus dem Keller der Erinnerung empor und türmt sie seiner Frau auf den Hals. Maria Hahn bei Papendelle, mit der Schere. Gertrud Hamacher, sechs Jahre, und Luise Lenzen, dreizehn, in Flehe, mit dem Dolch. Ida Reuter, hier auf der Rheinwiese, mit dem Hammer. Elisabeth Dörrier. am Ostpark, mit dem Hammer. Gertrud Albermann, fünf Jahre, mit dem Dolch. . .
Und das sind noch nicht alle Opfer, das sind nur die Toten. Auch die Gewürgten nennt er und die mit dem Hammer Verletzten und die, die mit dem Schrecken davongekommen sind.
Zwei Stunden dauert die Beichte, bald in hastigen, sich überschlagenden Sätzen, bald stockend, schluchzend geflüstert.
Als Kürten schließlich geendet hat, muß er feststellen, daß er die seelische Stärke seiner Frau überschätzt hat. Wie versteinert hat sie ihm zugehört. Nun sagt sie: »Ich kann dir nicht mehr helfen. Ich begreife es nicht. Mach ein Ende. Geh und mach ein Ende, für immer. Dann erfährt niemand etwas. Das ist das beste für dich. Ich werde es auch tun, ich kann nicht mehr weiterleben.«
Und wieder schlägt in diesem Augenblick Kürtens Stimmung um. Er hat die Last seiner Schuld abgeworfen, die Beichte hat ihn erleichtert. Gemeinsamer Selbstmord? Davor schaudert er zurück. Schon bereut er es, sich seiner Frau offenbart zu haben. Er streckt ihr die Hand entgegen: »Versprich mir, daß du dir nicht das Leben nimmst. Und mich niemals verrätst.«
»Aber wie soll das noch gutgehen?« fragt sie verzweifelt. »Die Polizei hat dich doch schon!«
Kürten winkt ab. Fassungslos vernimmt die Frau seinen Plan: Er will morgen aus Düsseldorf verschwinden. Von Ort zu Ort ziehen, alle paar Tage die Arbeitsstelle wechseln.
Die sorglose Zuversicht ihres Mannes erschreckt die Frau ebenso wie seine Untaten. Sie begreift nicht, daß ein Mensch mit dieser Schuld weiterleben kann. Und wenn er weiterlebt – wird er dann nicht auch weiter morden? Sie weiß nicht, was sie jetzt noch sagen soll. Ihr Kopf ist wüst und leer. Schweigend gehen sie über die Rheinbrücke zurück.
Wohin?
Ich möchte nach Hause, denkt sie, aber ich habe kein Zuhause mehr, nie mehr.
Auch Kürten weiß nicht, wohin.
»Ich komme nicht mir dir«, sagt er. »Wahrscheinlich erwartet mich schon die Polizei. Ich verlasse Düsseldorf. Dazu brauche ich etwas Geld. Und ich will mich auch von dir verabschieden. Wir treffen uns morgen nachmittag um drei an der Rochuskirche.«
Wortlos gehen sie auseinander.
Als Frau Kürten ihre Wohnung betritt, erwarten sie schon mehrere Polizisten. Fragen prasseln auf sie nieder. »Wo waren Sie? Was hat Kürten gesagt? Wo hält er sich jetzt auf?«
Noch in dieser Nacht wird Frau Kürten ins Polizeipräsidium gebracht und weiter verhört. Sie weiß nicht, wo Kürten sich einquartiert hat. Aber die Last auf ihren Schultern ist zu schwer. Sie muß sich jetzt auch davon befreien. Was Kürten ihr berichtet hat, erzählt sie, soweit es die Wirrnis ihrer Gefühle und die Erinnerung erlauben. Und sie offenbart auch, daß sie sich morgen mit ihrem Mann an der Rochuskirche treffen wird.
Am nächsten Mittag – es ist Sonnabend, der 24. Mai 1930 – umstellt ein großes Aufgebot von Kriminalpolizei den Rochusmarkt. Als Kürten erscheint und sich seiner auf ihn wartenden Frau nähert, wird er verhaftet.
In den folgenden Monaten jagt eine Vernehmung die andere. Kriminalpolizei, Untersuchungsrichter und Psychiater suchen das Rätsel dieses Serienmörders
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