Der zweite Buddha
Grunde mußte vorher etwas gestohlen werden.
Aber das sind alles nur Vermutungen. Auf jeden Fall hat er mir genaue Anweisungen gegeben: Ich sollte warten, bis die Luft rein war; dann mußte ich die Vitrine einschlagen, in der die Figur stand, sie nehmen, in Watte wickeln und in Lionel Palmers Kamera stecken - in die mit dem Weitwinkelobjektiv. Crockett sagte, die würde nur ein einziges Mal gebraucht werden an diesem Abend, und zwar für eine Gruppenaufnahme während des Essens. Danach, sagte er, werde die Kamera ein absolut sicheres Versteck sein und auch die einzige Möglichkeit, die Figur unbemerkt aus der Wohnung zu bringen... Sie müssen wissen, daß einmal Aufnahmen durch die Röntgenanlage verdorben worden sind. Palmer wußte natürlich nichts von dieser Einrichtung, und die Filme wurden doppelt belichtet. Er konnte sich hinterher auch nicht erklären, was eigentlich geschehen war. Er dachte, es müsse sich um Sabotage handeln. Aber er hatte doch gleich den Verdacht auf Röntgenstrahlen, und das sagte er auch Crockett.«
»Hat Crockett ihn daraufhin eingeweiht? Ich meine, hat Palmer gewußt, daß die Anlage im Fahrstuhl eingebaut ist?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß er Palmer versprochen hat, sich um die Angelegenheit zu kümmern und dafür zu sorgen, daß eine solche Panne in Zukunft nicht mehr Vorkommen könne... Ja, ich glaube, er hat auch etwas gesagt von Sicherheitsmaßnahmen, die er habe treffen müssen; aber ob er Palmer genau gesagt hat, was los ist, das weiß ich nicht.«
»Gut«, lenkte ich wieder zum Thema zurück, »weiter... Crockett hat Ihnen also den Auftrag gegeben, den Buddha in der Kamera zu verstauen. Und dann?«
»Dann sollte Palmer ahnungslos mit der Figur abmarschieren. Am nächsten Tag sollte ich zu ihm gehen — er hat in der letzten Zeit verschiedentlich Aufnahmen von mir gemacht, wissen Sie. Es konnte daher nicht weiter auffallen, wenn ich noch ein paar nachbestellte. Mr. Crockett hatte versprochen, dafür zu sorgen, daß Lionel den ganzen Tag in der Dunkelkammer mit dem Entwickeln und Vergrößern der Fotos vom Vorabend zu tun haben werde. Wenn ich mich ein bißchen bei Palmer aufhielte, meinte Crockett, dann könnte es nicht weiter schwierig sein, in einem unbewachten Augenblick den Buddha aus dem Apparat zu holen. Kein Mensch werde je dahinter- kommen, auf welche Weise er aus der Atelierwohnung geschmuggelt worden ist.«
»Und dann?«
»Dann erschien Sherlock Holmes der Zweite alias Donald Lam auf der Bildfläche. Er fand im Nu heraus, was los war, holte die Figur bei Palmer ab und baute einen Kollegen vor Palmers Laden auf... Nur so können Sie erfahren haben, daß ich kurz darauf dort hingegangen bin. Und dann dürfte es ja nicht mehr allzu schwer gewesen sein, die nötigen Schlüsse zu ziehen. Der Verdacht mußte auf mich fallen.«
»Das wußten Sie also?«
»Mit einigem Nachdenken bin ich dahintergekommen.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Weil ich Angst habe.«
»Angst? Wovor haben Sie Angst?«
»Vor... Es ist so: Wenn ich wegen des Diebstahls angeklagt werde... Lionel wird mich hängenlassen, er wird mir nicht helfen. Ich habe ihm zuviel erzählt. Er weiß, daß ich den Buddha in seiner Kamera versteckt habe und daß ich zu ihm gekommen bin, um das Ding wieder abzuholen... Als die Figur nicht mehr da war, habe ich ihm natürlich vorgeworfen, er habe sie inzwischen gefunden und beiseite geschafft... Ich habe ihn erst darauf gebracht, was für eine Rolle ich bei der Geschichte gespielt habe.«
»Und nun?« fragte ich, als sie schwieg.
»Und nun?« Ihre Finger glitten leicht über meine Wange. Sie verirrten sich in meinen Haaren und strichen sie sanft zurück. »Und nun bin ich mehr oder weniger in Ihrer Gewalt, Donald. Crockett ist tot und kann meine Geschichte nicht mehr bestätigen... Ich sitze tief in der Tinte. Ich bin dran — wenn du mir nicht hilfst, Donald ...«
Oha, dachte ich, jetzt duzt sie dich schon; gleich wird sie dir auf dem Schoß sitzen... Was hatte Elsie Brand gesagt?, >Seien Sie vorsichtig...!<
»Sie sind sich vielleicht nicht darüber im klaren, daß ich bereits in der Sache engagiert bin. Ich bearbeite den Fall für einen Klienten.«
»Natürlich bin ich mir darüber im klaren — für Mrs. Crockett.«
»Ja, ganz recht. Und deshalb kann ich nichts für Sie tun, Sylvia.«
Es entstand eine Pause. Nanu, dachte ich, hat sie es etwa schon ein- gesehen? Ich hätte nicht gedacht, daß das so leicht...
»Donald«,
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