Der zweite Gral
reservierte telefonisch zwei Zimmer für Emmet und Lara.
»Da ist es zwar nicht so komfortabel wie hier«, sagte sie, »aber sauber und gemütlich. Meine Schwester hat dort früher als Telefonistin gearbeitet. Vom Baibar-Hotel aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Palast.«
Emmet gab ihr das Geld für den Bus und entschädigte sie auch für den Abstecher nach Paris. Anschließend begleiteten er und Lara sie nach unten, wo sie in ein Taxi stieg, das sie zum Bahnhof brachte.
Als Lara dem Taxi hinterhersah, schweifte ihr Blick ganz von selbst zum Straßencafé auf der gegenüberliegenden Uferpromenade. Der Sportler mit dem markanten Gesicht und dem sandfarbenen Haar war nicht mehr da.
Von einer Telefonzelle aus rief Emmet Hassan Gamoudi an, den Waffenhändler, und gab ihm eine lange Liste von Dingen durch, die er kaufen wollte.
»Du hast offenbar schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie die Befreiungsaktion ablaufen soll«, stellte Lara fest, nachdem Emmet den Hörer eingehängt hatte.
Zu ihrer Überraschung sagte er: »Nein, habe ich nicht. Jedenfalls noch nicht. Aber wenn wir morgen Abend in al-Quz sein wollen, müssen wir schnell handeln. Also habe ich einfach von allem etwas bestellt.« Er grinste. »Was soll’s. Zahlen können wir eh nicht.«
»Und Gamoudi hat tatsächlich eingewilligt?«
Emmet nickte. »Als du in Paris warst, habe ich ein bisschen nachgeforscht. Scheich Assad hat seinen Söldnertrupp mit Waffen von Hassan Gamoudi ausgestattet. Nicht nur mit Gewehren, sondern mit dem kompletten Programm. Allerdings hat Assad nie etwas dafür gezahlt, weil er weiß, dass Gamoudi es nicht wagen wird, das Geld bei ihm einzufordern. Assad ist zu mächtig, um es auf eine direkte Auseinandersetzung mit ihmankommen zu lassen. Also nimmt Gamoudi den indirekten Weg: Er stellt uns ein angemessenes Arsenal zur Verfügung, und wir erledigen für ihn die Drecksarbeit, indem wir den Palast ein bisschen aufmischen.«
»Warum hat Gamoudi das nicht gleich gesagt?«
»Weil er Geschäftsmann ist. Er verschenkt seine Ware nicht, wenn er Geld dafür bekommen kann.« Emmet zuckte leichthin mit den Schultern. »Um Zeit zu sparen, schlage ich vor, dass wir uns wieder trennen«, sagte er. »Willst du im Hotel bleiben und einen Befreiungsplan ausbaldowern oder lieber die Waffen abholen?«
Der Gedanke, noch einmal zu Gamoudi und dessen schmierigen Handlangern zu müssen, bereitete Lara ungefähr so viel Freude wie eine bevorstehende Zahnwurzelbehandlung. Aber einen Plan für die Erstürmung eines Palasts zu entwerfen, traute sie sich schlicht und einfach nicht zu.
»Du bist der Stratege«, sagte sie und seufzte. »Also werde ich mich mit Gamoudi treffen. Wo kann ich die Sachen abholen?«
Emmet reichte ihr einen Zettel mit einer Ortsangabe, die Gamoudi ihm telefonisch durchgegeben hatte. »Wirst du damit klarkommen?«, fragte er.
»Kümmere du dich um den Befreiungsplan. Ich kümmere mich um die Waffen.«
Für wenig Geld erstand sie bei einem Gebrauchtwagenhändler einen uralten Kombi. Der matte Lack war von Kratzern übersät, und die Beifahrertür hatte Dellen. Technisch jedoch war das Auto gut in Schuss, und vor allem war es unauffällig. Genau das, was sie und Emmet für einen heimlichen Waffentransport von Jeddah nach al-Quz benötigten.
Als Lara im Feierabendverkehr stadtauswärts nach Süden fuhr, glaubte sie plötzlich, in einem cremefarbenen Geländewagen, irgendwo hinter ihr, Emmet zu entdecken. Doch wegendes dichten Verkehrs musste sie den Blick wieder nach vorne richten. Als sie das nächste Mal in den Rückspiegel sah, war das ihr so vertraute Gesicht verschwunden.
Sie schüttelte den Kopf. Allein der Verdacht war absurd! Weshalb sollte Emmet ihr folgen? Dann aber fiel ihr ein, dass er es schon einmal getan hatte. Misstraute er ihr so sehr? Glaubte er, sie wolle mit Gamoudis Waffen durchbrennen?
Laras Unwohlsein wuchs, als sie auf der Straße nach Süden an der verwahrlosten Vorstadtsiedlung vorbeikam, wo letzten Donnerstag der junge Polizist ermordet worden war – von Emmet. Sie fragte sich, welches Unglück heute geschehen würde. Kurz entschlossen bog sie an der nächsten Kreuzung ab. So konnte es nicht weitergehen. Sie musste Emmet zur Rede stellen.
An einer roten Ampel hielt Lara an. Im Innenspiegel sah sie in dem Wagen hinter sich eine Frau am Steuer. Als diese sich zum Handschuhfach beugte, gab sie für einen kurzen Moment den Blick auf das Auto hinter ihr frei. Lara musste ganz genau
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