Der zweite Gral
er am ehesten trauen?
Er entschied sich für Lara Mosehni, nicht nur, weil sie einTeam mit ihm bildete und er von vornherein einen guten Eindruck von ihr gehabt hatte, sondern vor allem, weil sie dem Orden erst seit ein paar Monaten angehörte. So schnell konnte sie schwerlich in Versuchung geraten sein, ihre neu gewonnenen Ideale zu verraten.
»Würden Sie für mich eine E-Mail verschicken?«, bat er.
Reyhan nickte. »Welche Nachricht? Und an wen?«
»Haben Sie etwas zu schreiben?«
Die Frau zog einen Kugelschreiber aus ihrer Brusttasche und benutzte eine Serviette als Papier. Anthony Nangala diktierte ihr Lara Mosehnis E-Mail-Adresse und eine verschlüsselte Botschaft, weil er nicht wusste, ob Donna oder sonst jemand ihre elektronische Post überprüfen würde. Niemand außer Lara würde seine Nachricht entschlüsseln können.
»Da ich das Bett nicht verlassen kann, gibt es jetzt nur noch ein Problem«, sagte Nangala zögerlich. »Würden Sie mir einen weiteren Gefallen tun?«
»Einen weiteren Gefallen? Welchen?«
»Ich weiß, es klingt verrückt, aber fliegen Sie für mich nach Frankreich. Ich flehe Sie an!«
52.
L ara schlief wie ein Stein in ihrem Hotelbett, als das Telefon klingelte. Schlaftrunken nahm sie ab. »Ja?«
»Hier Tanaka.«
Augenblicklich war Lara hellwach. Ein Anruf Tanakas konnte nichts Gutes bedeuten. »Was gibt’s?«, fragte sie knapp.
»Das würde ich gern von Ihnen wissen.«
Lara verstand überhaupt nichts. »Wie meinen Sie das?«
»Interpol hat vor einer halben Stunde eine E-Mail-Nachricht für Sie abgefangen. Eine ziemlich merkwürdige. Ich möchte gern wissen, was sie zu bedeuten hat.«
Lara strich sich mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Schießen Sie los.«
»Geschrieben wurde die Nachricht höchstwahrscheinlich über ein Handy mit Internet-Zugang. Wem das Handy gehört, konnten wir nicht zurückverfolgen. Die Nachricht lautet: Triff dich morgen um 16 Uhr vor dem türkischen Bad mit mir, so wie beim letzten Mal. A. N. Wem das Handy gehört, konnten wir nicht zurückverfolgen. Wer ist A. N.?«
Lara konnte die Neuigkeit kaum glauben. »Anthony Nangala«, murmelte sie. War er tatsächlich am Leben? Und noch dazu frei? »Ein Mitglied des Ordens, dem ich angehöre. Wir sind so etwas wie Partner.«
»Verlobt?«
»Du liebe Güte, nein. Partner wie ... wie ein Polizeiteam.
Wir arbeiten zusammen, informieren uns gegenseitig, halten uns gelegentlich den Rücken frei.«
»Und wo befindet sich dieses türkische Bad, vor dem Sie sich mit ihm treffen sollen?«
Das war das Problem. Lara konnte selbst nichts damit anfangen. »Wir haben uns nie vor irgendeiner Badeanstalt getroffen«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, was er damit meint.«
»Miss Mosehni, ich bin nicht in der Stimmung, an der Nase herumgeführt zu werden!« Tanakas Tonfall war plötzlich scharf. »Ich habe Sie gestern Nacht aus den Augen verloren. Ein zweites Mal wird mir das nicht passieren. Vergessen Sie nicht, dass ich am längeren Hebel sitze. Wenn ich will, kann ich Sie jederzeit festnehmen lassen! Also noch einmal: Wo wollen Sie beide sich treffen?«
Lara spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Sie wusste mit Anthonys Nachricht tatsächlich nichts anzufangen. Das letzte Mal hatte sie ihn in Paris gesehen. Vor dem türkischen Bad, wie beim letzten Mal. Aber da war nirgends ein türkisches Bad in der Nähe gewesen.
Im Geiste ging sie noch einmal sämtliche Zusammenkünfte mit Anthony Nangala durch. Seit sie dem Orden beigetreten war, hatte sie ihn knapp ein halbes Dutzend Mal getroffen. In Rom, Bergen, Davos, Toronto und zuletzt in Paris. Während sie sich unterhielten, hatten sie eine ausgiebige Besichtigungstour durch die Stadt unternommen, hatten den Eiffelturm bestiegen, waren an der Seine entlanggebummelt und anschließend ...
»Paris! Natürlich!«, platzte sie heraus. Endlich war ihr der zündende Gedanke gekommen. »Ich muss in den Louvre.«
Lara begab sich in die Lobby des Jeddah Sheraton und ließ sich ein Ticket für den nächsten Flug nach Paris reservieren. Außerdem machte sie dem Rezeptionisten so lange schöne Augen, bis dieser sich bereit erklärte, sie an den Internet-PC des Hotels zu lassen. Sicher trug auch ihre erfundene Geschichteüber ihren sterbenskranken Vater dazu bei, den Mann zu erweichen.
Als sie fünfzehn Minuten später bei Emmet im Zimmer war und er sie fragte, wie sie Anthony Nangalas Nachricht erhalten habe, hatte sie jedenfalls eine Erklärung parat: weibliche
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