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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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wirkte bedrückt. »An diesen Leuten wurde die zweite Phase der Therapie getestet. Erfolglos, wie du siehst. Die Entstellungen sind Tumore. Unheilbar. Vor allem die ersten Versuchsreihen waren eine Katastrophe. Das Epstein-Barr-Virus hat seine Arbeit zwar getan, doch bei der anschließenden Frequenzbehandlung gab es Probleme. Das sind die Folgen.« Er ließ den Blick durch den Saal schweifen. »Wir haben diese Leute in ein künstliches Koma versetzt und erhalten sie maschinell am Leben. Ohne die Herz-Lungen-Geräte würden sie sterben. Selbst mit den Geräten kommt es immer wieder zu Todesfällen – fünf waren es allein letzte Woche. Wegen der hohen Sterberate hat Goldmann den Zeitplan kurzfristig vorverlegt.«
    Reyhan zitterte. »Wenn es für diese Menschen keine Heilung gibt, warum werden sie dann am Leben erhalten?«, fragte sie.
    »Ich weiß, es klingt schrecklich, aber sie dienen als Wirtsorganismen. Tatsache ist, dass unser modifiziertes Epstein-Barr-Virus bislang nicht in Nährlösungen, sondern ausschließlich im menschlichen Körper gezüchtet werden kann. Aus dem Blut dieser Menschen wird in der Virologie das Präparat für Phase 2 hergestellt. Sozusagen das Lebenselixier. Die Präparate für die morgige Behandlung wurden heute Mittag vorbereitet.«
    Reyhan murmelte einen Dank und beeilte sich, den Saal zu verlassen, weil sie das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen. Über Phase 2 des Projekts hatte sie vor einigen Tagen eine von Doktor Goldmann verfasste Abhandlung gelesen, in dem er alles als ganz harmlosen und einfachen Vorgang geschildert hatte, als wäre es das reinste Kinderspiel. Jetzt ärgerte Reyhan sich über ihre Leichtgläubigkeit. Wissenschaftliche Erfolge basierten stets auf einer Vielzahl von Fehlversuchen.
    Schockiert von ihrer Entdeckung kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Auf dem Weg dorthin kam sie an der Virologie vorbei und begann gegen ihren Willen zu zittern. Epstein-Barr. Krebs. Wie vielen Menschen hatte Doktor Goldmann dieses schreckliche Schicksal angetan? Um wenigstens halbwegs verlässliche Forschungsergebnisse zu bekommen, hätte er hunderte unfreiwilliger Patienten benötigt. Wo waren sie?
    Vermutlich im Hochofen verbrannt, sagte Reyhan sich schaudernd. So, wie sie es früher mit den Tierkadavern gemacht hatten.
    Eine einsame Träne lief Reyhan übers Gesicht.
    Dann übermannten sie Wut und Verzweiflung. Der Gedanke, dass Goldmann und seine Helfer so viel Leid verbreitet hatten und dafür noch mit einem übermäßig langen Leben belohnt werden sollten, erschien Reyhan unerträglich. Diese Größenwahnsinnigen, diese Verbrecher mussten bestraft werden. Aber wie, wenn das Gesetz keinen Weg hinter die Mauern dieses Palasts fand?
    Das Schild an der Tür stach Reyhan ins Auge. Virologie. Ihr kam eine Idee.
    Möge Allah mir verzeihen, dachte sie. Oder möge er mich dafür segnen.
    Sie vergewisserte sich, dass niemand im Gang war, und schlüpfte unauffällig ins Zimmer.
    Um halb eins war Reyhan längst wieder mit ihren Kollegen im Frischzellen-OP. Mit jedem Herzschlag wuchs ihre Aufregung. In einer halben Stunde würde die Befreiungsaktion anlaufen.
    Inzwischen wusste sie von Mustil Massuf, wo Anthony Nangala und die Sudanesen untergebracht waren. Mustil war nicht nur gut unterrichtet, sondern auch überaus hilfsbereit, wenn man ihn ein wenig umgarnte. Reyhan hatte ihn in ein Gespräch verwickelt und alles erfahren, was sie wissen musste.
    Noch zwanzig Minuten lang arbeitete sie im OP weiter, mehr oder weniger unkonzentriert. Dann wurde es Zeit, zu handeln. Sie verließ ihre Kollegen ohne Begründung, sagte nur, dass sie gleich zurück sei. Aber sie hatte nicht die Absicht, jemals wiederzukommen. Sie würde diesen Palast für immer verlassen – und nicht allein.
    Sie huschte durch die Gänge zur Garderobe und holte eine Plastiktüte aus ihrem Spind. Damit eilte sie in Anthony Nangalas Zimmer. Er wandte ihr nicht einmal den Kopf zu, sondern starrte unbeirrt an die Decke.
    »Ich bin hier, um Sie zu befreien«, sagte sie. »Was ist mit Ihnen? Freuen Sie sich gar nicht?«
    Nangala schnaubte, und seine Augen glänzten feucht. »Ich habe heute eine Infusion bekommen. Epstein-Irgendwas. Ein Virus, das Krebs hervorruft. Nur eine Bestrahlung mit bestimmten Magnetwellen kann mich davon heilen. Das heißt: Wenn ich diesen Palast verlasse, werde ich sterben.«
    Damit hatte Reyhan nicht gerechnet. Verzweifelt ergriff sie Nangalas Hand. »Wenn Sie mir nicht helfen, schaffe ich es

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