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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Hafenstraße ihre dunklen Schatten auf den Strand. Doch das Wasser selbst glitzerte und schimmerte hell, wie eine riesige, von Brillanten bedeckte Ebene.
    Dennoch war Emmet Walsh alias Brian Fitzgerald sicher, dass Nangala das Zimmer nicht wegen der Meeresidylle gebucht hatte. Es musste einen anderen Grund geben. Wieder blickte er durchs Fernglas und suchte das Meer nach etwas Verdächtigem ab.
    Wenn ich nur wüsste, wonach ich suchen muss!
    Ein paar Fischerboote tanzten auf den Wellen. Eine Fähre nahm Kurs in Richtung Hafen. Ein Stück weiter entfernt hoben sich die Umrisse einiger Öltanker und Frachter vom glitzernden Meer ab.
    Emmet Walsh kam beim besten Willen nicht darauf, was Anthony Nangala von hier aus beobachtet haben könnte.
    Er spürte, wie hungrig er war, und beschloss, ins Hotelrestaurant zu gehen. Beim Essen überkam ihn wieder Schwermut. Er sah die einstürzenden Mauern von Leighley Castle und hörte die Schreie seiner Brüder und Schwestern im Todeskampf. Vor allem trauerte er um Donna.
    Er saß vor seinem Teller mit den duftenden Speisen, brachteaber kaum einen Bissen herunter. Dafür trank er eine Flasche Wein. Das milderte den Schmerz ein wenig, zumindest vorübergehend.

20.
    D ie letzten Strahlen der untergehenden Sonne ließen den Himmel über Isfahan in sattem Dunkelrot erstrahlen. Der Lärm des Feierabendverkehrs verebbte, und bald waren aus den Fenstern der Häuser angeregte Gespräche zu vernehmen, vermischt mit den Geräuschen unzähliger Radios und Fernseher.
    Lara Mosehni saß an einem der Klapptische vor dem Imbiss-Restaurant an der Straßenecke und legte ihr Besteck beiseite. Sie fühlte sich randvoll und müde. Während des Essens hatte sie überlegt, wie sie ihre Suche nach dem geheimnisvollen Asiaten fortsetzten solle, war aber zu keinem Ergebnis gelangt. Wenn er sie nicht bereits hier, in Isfahan, beobachtet hatte, würde es verdammt schwer werden, seine Spur aufzunehmen.
    Lara wollte sich gerade noch etwas zu trinken bestellen, als ihr ein uniformierter Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite ins Auge fiel. Lara schien es, als hätte er seinen Blick geradewegs auf sie gerichtet.
    Er hat mich erkannt!, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht ein Polizist, der mein Gesicht auf einem Fahndungsfoto gesehen hat ...
    Der Uniformierte kam eiligen Schrittes näher. Der Mann war Ende zwanzig. Seine Miene wirkte freundlich, die Waffe an seinem Gürtel allerdings nicht.
    Ein eiskalter Schauder jagte Lara über den Rücken. Sie musste sich zwingen, nicht aufzuspringen und blindlings davonzurennen. Allein die Furcht, niedergeschossen zu werden, hielt sie zurück.
    Als der Uniformierte nach links und rechts blickte, bevor er die Straße überquerte, griff Lara blitzschnell nach dem Messer auf ihrem Teller und ließ ihre Hand unter dem Tisch verschwinden. Sie war fest entschlossen, nicht wieder ins Gefängnis zu gehen.
    Der Mann wich einem hupenden Auto aus, dann war er auch schon bei ihr.
    »Lara Mosehni?«, fragte er.
    Laras Faust umklammerte den Messergriff wie ein Schraubstock. »Ja«, sagte sie.
    »Darf ich Sie bitten mitzukommen?«
    »Und wenn ich lieber noch ein bisschen sitzen bleiben möchte?«
    Die schroffen Worte schienen den Mann zu verwirren. »Ich ... ich kann Sie natürlich nicht zwingen«, sagte er. »Es ist nur ... mein Großvater möchte gern mit Ihnen reden.«
    Unter dem Tisch lockerte sich Laras Faust um den Messergriff. »Ihr Großvater?«
    »Amir Bin-Sal.«
    Lara nickte. »Ich wohne über ihm. Was will er von mir?«
    »Das weiß ich nicht. Er sagte nur, dass er Sie sprechen will.«
    Lara bezahlte die Rechnung und stand auf. Bevor sie dem uniformierten Mann folgte, legte sie unauffällig das Messer auf ihren Teller zurück.
    Amir Bin-Sal war alt und hager. Gekrümmt saß er in seinem Rollstuhl. Seine Haut war blass, die Augen stumpf. Ein gebrochener Mann.
    Dennoch erstaunte er Lara mit der Frage, ob Sie den Asiaten mittlerweile gefunden habe.
    »Noch nicht«, antwortete sie. »Woher wissen Sie, dass ich ihn suche?«
    Der alte Mann lächelte. Ein trauriges, melancholisches Lächeln. »Seit ich gelähmt bin, verlasse ich kaum noch das Haus«, erklärte er. »Diese vier Wände sind mein ganzes Reich. Wenn Kemal nicht gerade zu Besuch ist«, bei diesen Worten deutete er mit dem Kopf auf seinen Enkel, »ist das Fenster meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Nicht, dass ich mich beklage. In gewisser Weise ist es sogar spannender als der Fernseher, den ich einst hatte.

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