Der zweite Gral
Empfangsschalter stand noch immer das schwarze Mädchen, das ihm Anthony Nangalas Unterkunft überlassen hatte. Sie lächelte ihm freundlich entgegen. Emmet fragte sie, wo sich die Hotelschließfächer befanden.
»Auf jedem Zimmer, im Garderobenschrank. Sie können den Schließcode selbst programmieren ...«
»Gibt es keine separaten Schließfächer? Oder Safes?«
Das Mädchen nickte. »Doch. Am Ende des Flurs auf der rechten Seite.«
Emmet dankte ihr und machte sich auf den Weg.
Die Safewand wirkte schäbig wegen der verkratzten Chromstahl-Türen, schien aber diebstahlsicher zu sein. Emmet öffnete Schließfach 15, fand darin eine prall gefüllte Aktenmappe und nahm sie an sich. Als er zu seinem Zimmer zurückging, ahnte er, dass ihm eine lange Nacht bevorstand.
22.
E s war kühl und diesig an diesem Montagmorgen. Nebel lag über der Stadt wie ein feiner grauer Schleier. Die Minarette im Zentrum Isfahans zeichneten sich nur als dunkle Schemen in der Ferne ab.
Lara stand vor dem Haus von Sherif Kaplan und klingelte an der Tür. Sie hatte es schon einmal versucht, am gestrigen Abend, gleich nach dem Gespräch mit Amir Bin-Sal, doch ohne Erfolg. Jetzt hoffte sie, mehr Glück zu haben.
Tatsächlich hörte sie drinnen Schritte. Kurz darauf schwang die Tür auf, und ein Mann mit hoher Stirn und schwarzem Vollbart stand vor ihr. Er wirkte müde und roch nach Knoblauch.
»Ich heiße Lara Mosehni«, sagte sie. »Amir Bin-Sal hat mich geschickt. Er meinte, dass Sie eine Wohnung an jemanden vermietet haben, den ich suche. Einen Chinesen oder Japaner.«
Kaplan nickte. »Ein Japaner. Ist vor ein paar Tagen aber sang und klanglos ausgezogen, ohne mir Bescheid zu geben. So ein verdammter Kerl!«
Es schien aufgebracht zu sein, was Lara nur recht sein konnte. Aufgebrachte Menschen gaben oft mehr Informationen preis, als sie eigentlich wollten.
»Den Mann muss der Skorpion gestochen haben, so eilig hatte er es, von hier zu verschwinden«, fuhr Kaplan fort. »Nicht mal die Tür hat er hinter sich zugezogen. Hätten die Nachbarn mir nicht Bescheid gegeben, hätte sich schon längst irgendwelches Gesindel in der Wohnung eingenistet. Ich wusstegleich, dass es ein Fehler ist, an einen Ausländer zu vermieten. Ich habe von Anfang an geahnt, dass mit dem etwas nicht stimmt.«
»Sie haben es geahnt? Weshalb?«
»Wenn jemand, der Geld hat, ausgerechnet in dieser Gegend eine Wohnung mietet, ist da was faul. Und bei Allah, der Mann hatte Geld! Er wollte die Wohnung nur für zwei Monate. Ich sagte, er müsse für ein halbes Jahr im Voraus bezahlen. Er hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als er mir die Scheine in die Hand drückte.«
Beunruhigende Neuigkeiten. Laras Verdacht festigte sich, es mit einem Gegner zu tun zu haben, der finanzkräftig genug war, um einen Angriff von Kampfhubschraubern auf eine schottische Burg in die Wege zu leiten.
»Was wissen Sie über diesen Mann?«, fragte sie. »Hat er Ihnen einen Namen genannt?«
Kaplan überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Akanawe. James Akanawe.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich würde darauf wetten, dass er nicht so heißt. Aber wenn jemand für ein halbes Jahr im Voraus bezahlt, stelle ich keine Fragen.«
Lara seufzte innerlich.
»Allerdings kann ich Ihnen sein Autokennzeichen geben«, fuhr Kaplan fort. »Ich habe es mir notiert, als er den Wohnungsschlüssel abholte.«
»Sie haben das Kennzeichen notiert? Warum?«
»Ich sagte Ihnen doch, dass der Kerl mir seltsam vorkam. Ich dachte, die Autonummer kann nicht schaden. Falls er irgendwas ausfrisst und türmt, kann ich der Polizei wenigstens etwas bieten. Für eine kleine Belohnung, versteht sich.«
Lara begriff. Kaplans Zorn beeinträchtigte seinen Geschäftssinn leider nicht. »Wie viel hätte die Polizei Ihnen für das Kennzeichen wohl gegeben?«, fragte sie.
Kaplan nannte ihr einen überhöhten Betrag. Lara handelte ihn auf die Hälfte herunter. Daraufhin verschwand Kaplan nach drinnen. Zurück an der Tür, reichte er Lara im Tausch gegen das Geld einen Zettel.
»Er fährt einen dunkelblauen Ford«, sagte er. »Mehr kann ich zu dem Auto leider nicht sagen.«
Lara dankte ihm und verabschiedete sich. Als sie zu ihrer Wohnung zurückkehrte, lichtete sich der Nebel über der Stadt.
23.
D er Wecker klingelte, und Emmet Walsh schreckte aus dem Schlaf.
Zuerst wusste er nicht, wo er sich befand. In einer Suite des Royal Livingstone Hotel? In seinem Schlafzimmer auf Leighley Castle? In einem Flugzeug? Dann erst ging
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